Es ist eines der hartnäckigsten Klischees, das Bild vom
gottesfürchtigen, kirchentreuen und etwas prüden Spanier.
Jahrzehntelang galt Spanien als das katholische Land schlechthin,
in dem die Kirche als einzige Instanz für moralische Fragen
zuständig war. Und tatsächlich: Sie hat lange Zeit eine höchst
zweifelhafte Rolle gespielt, zur Konsolidierung und Legitimation
der Franco-Diktatur beigetragen und dabei geholfen, ein ganzes Volk
zur Unmündigkeit zu erziehen. Damit aber ist es nun schon lange
vorbei. Der Prozess der Emanzipation des spanischen Staates von der
katholischen Kirche dauert bereits mehrere Jahrzehnte an. Er ist
Teil des Übergangs zur Demokratie – und ebenso wie dieser Prozess
eine Erfolgsgeschichte.
Spanien ist schon heute in vielerlei Hinsicht ein vorbildliches
Land. So dürfte es kaum ein ähnlich gelungenes Beispiel für die
Gleichberechtigung der Frauen in der Politik geben, wie die
aktuelle Zentralregierung in Madrid: Neun von 17 Ministerien
unterstehen dort einer Frau. Angesichts der jahrzehntelangen
erzkatholischen Frauenpolitik eine überraschende Entwicklung.
Ebenso wie die Tatsache, dass Spanien auch in der
Gleichberechtigung Homosexueller in vielerlei Hinsicht vorbildlich
ist. So gibt es nur wenige Länder, in denen gleichgeschlechtliche
Partnerschaften ähnlich gutgestellt sind wie in Spanien.
Die sozialistische Regierung in Madrid hat vieles in Angriff
genommen, was nach dem Ende der Diktatur im Argen lag und in einer
freiheitlichen Gesellschaft heute selbstverständlich ist. Sei es
das Scheidungs- oder Abtreibungsrecht, sei es die Homo-Ehe oder die
Gleichberechtigung der Frauen. Vieles davon musste gegen den
Widerstand der Kirche durchgefochten werden. Wie weit die
Emanzipation des spanischen Staates von der katholischen Kirche
mittlerweile aber fortgeschritten ist, zeigt sich daran, dass
längst kein Aufschrei mehr erfolgt, wenn die Privilegien der Kirche
auf den Prüfstand kommen. Die spanische Gesellschaft ist längst
viel weniger katholisch, als ihr Ruf es nahelegt.
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