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VON NIELS BRITSCH

Mallorca. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, sich nicht an alles erinnern zu können - zumindest wenn man die Nacht an der Playa de Palma zum Tage gemacht hat.

Denn eines ist klar: Die berühmt-berüchtigte Partymeile des Hauptstadt-Strandes unsicher zu machen, ohne einen Tropfen Alkohol zu trinken, ist wie Pommes Rot-Weiß ohne Ketchup und Mayo. Das soll kein Aufruf zum Besäufnis werden und es bedeutet auch nicht, dass der gemeine Ballermann-Besucher Alkoholiker sein muss, aber ein paar alkoholische Getränke, oder, besser noch, ein Rausch, gehören schon dazu, um das Klischee zu erfüllen; und das Treiben am Ballermann bestätigt nun einmal sämtliche Vorurteile und Klischees.

Doch das ist auch gut so, denn dann wissen alle, worauf sie sich einlassen. Nur, wer danach abstreitet, dort gewesen zu sein, sollte sich auch dafür schämen. Ein Besuch sind Bier- und Schinkenstraße allemal wert, allein um die Bandbreite menschlicher Abgründe einmal mitzuerleben.

Wer dennoch Skrupel verspürt oder Angst um seinen Ruf hat, hier eine "Ballermann-Anleitung": Zunächst am Strand ein paar Bier, um sich dem allgemeinen Niveau anzupassen. Danach ab in eine der zahlreichen Partyhallen, zum Beispiel in den Megapark, allerdings immer mit dem Bewusstsein im Hinterkopf, dass es später noch weitergeht.

Hier ist das "Eimersaufen" (vorzugsweise Sangria) Pflicht und es hat auch einen Vorteil: Je mehr man trinkt, desto weniger hinterfragt man die Texte solch hochanspruchsvoller Lieder wie "Das rote Pferd", "Cowboy und Indianer" oder "Zehn nackte Frisösen".

Man muss genug trinken, um sich unkritisch der Masse anpassen zu können, was soviel heißt wie: auf alles steigen, was erhöht ist (Tische, Bänke, Stühle und Podeste) und mitgrölen, am besten (wenn man denn männlichen Geschlechts ist) mit nacktem Oberkörper. Ein bisschen Eigenständigkeit darf man nur beweisen, indem man zwischendurch die Schlachtgesänge der heimischen Fußballmannschaft anstimmt, was jedoch nicht immer die ungeteilte Zustimmung der Fans anderer Teams findet.

Überhaupt sind hier Stadiongesänge angesagt, man polarisiert und stößt entweder auf große Ab- oder Zuneigung. Außerdem demonstriert der gemeine Ballermann-Besucher so die intimsten Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten nach dem Motto: "Seht her, ich kenne mich hier aus, denn ich bin betrunken und ich gehöre dazu, gleichzeitig grenze ich mich aber durch meine lokal- oder regionalpatriotischen Gesänge von dem ganzen Volk hier ab!" Dass solche Widersprüche nicht immer konfliktfrei verlaufen, ist abzusehen und so geraten hin und wieder auch einmal Betrunkene aneinander. Was auf jedem deutschen Volksfest und in jedem Fußballstadion passiert, darf auch an Palmas Partymeile geschehen. Meist gehen solche Reibereien glimpflich aus, doch sie sollten für die Beteiligten der Startschuss zum Weiterziehen sein.

Also raus aus dem Megapark und hinein ins Vergnügen: Draußen kommt man nicht weit und die Suche nach der nächsten Feier-Örtlichkeit fällt nicht schwer, denn alle zwei Meter umschwärmen einen junge Menschen, die von ihrem "Schuppen" überzeugen wollen, sei es das "Oberbayern", "Riu Pa-#lace", "Almrausch" oder der "Bierkönig". In Letzterem kein anderes Programm als zuvor: trinken, mitsingen und auf Podesten tanzen.

Wer noch nüchtern genug ist, kann sich als neutraler Beobachter betätigen und das Spektakel quasi als Live-Show genießen. Als besonders beobachtenswert (weil interessant und amüsant) ist dabei das Balzverhalten der betrunkenen und aufgeheizten Partygäste zu empfehlen, spannend sind auch die Reaktionen nicht ganz so paarungswilliger Frauen bei entsprechend aufdringlichen Werbern.

Irgendwann wird es neblig im Kopf, allerhöchste Zeit um aufzubrechen. Draußen ist immer noch die Hölle los, es gäbe genug Gelegenheiten weiterzuziehen, doch man muss seine Grenzen kennen.

Am nächsten Tag taucht die Gedächtnislücke auf, das sichere Zeichen dafür, alles richtig gemacht zu haben. "Da muss mir doch jemand Alkohol in den Wodka gemischt haben!" Würde man sich erinnern, dann könnte man sich womöglich schämen und auf die Idee kommen, dass es am Ballermann zwar recht primitiv und vulgär zugehen kann, man aber trotzdem verdammt viel Spaß hatte.