Von ihrer Mutter spricht Catalina Serra nur
noch in der Vergangenheit. Sie war seit Langem Witwe, sagt Serra.
Sie war trotz ihres Alters sehr selbstständig. Sie war. Hoffnung,
ihre Mutter lebend wiederzusehen, hat Catalina Serra keine mehr.
Seit dem dritten Tag nach ihrem Verschwinden glaubt sie nicht mehr
an ein gutes Ende. „Meine Mutter ist im Himmel. Ich kämpfe nur noch
darum, sie beerdigen zu können, wie es sich gehört.”
Catalina Serra ist die Tochter von Margalida Bestard, die seit
dem 10. Oktober 2007 als vermisst gilt. Wie sie gehen Jahr um Jahr
mehr als hundert Menschen verloren auf Mallorca. Zwar tauchen die
allermeisten von ihnen wieder auf, manche aber bleiben
verschwunden. Zum Teil sogar für immer. Eine Vorstellung, die
Catalina Serra schreckt. „Das ist schlimmer als der Tod. Ein
unendlich in die Zukunft ausgedehnter Tod.”
Catalina Serra ist gezeichnet von den vergangenen Monaten des
Wartens, des Trauerns und der Suche. Tiefe Ringe haben sich unter
ihre Augen gegraben und verraten, dass der Verlust der Mutter
allgegenwärtig ist. Es ist kalt in dem Haus in Pòrtol. Nur unter
dem Küchentisch mit der langen Decke steht ein kleiner Ofen.
Dorthin streckt Serra ihre Beine. „Ich bin wie ausgebremst. Ich
sehe keine Zukunft mehr. Wenn wir endlich, endlich ihren Körper
finden, dann wird das eine Erleichterung sein.”
Margalida Bestard war 72, als sie eines Herbsttages in Arenal
verschwand. Dort gehörten ihr mehrere Wohnungen. Die Miete trieb
sie persönlich ein und kassierte in bar. Auch Deutsche gehörten zu
ihren Mietern. Eine junge Frau erinnert sich genau an Bestard und
daran, dass sie sich immer fragte, wann der alten Dame etwas
geschehen werde. Laut Catalina Serra war allen die Gefahr bewusst.
Darum sei ihre Mutter auch nie allein unterwegs gewesen.
Normalerweise.
Zum jetzigen Zeitpunkt geht die Polizei nicht von einem Raubmord
aus. Unter Verdacht steht ein Mann, mit dem Bestard Streit hatte.
Der Mann wurde verhaftet und verhört. Seine Wohnung wurde
durchsucht – ohne Ergebnis. Dabei war er schon vor mehr als zehn
Jahren in einen Vermisstenfall verwickelt. Doch auch damals konnte
ihm nichts nachgewiesen werden. Weil es keine Leiche gab.
Auch darum will Catalina Serra nicht ruhen, bis die Überreste
ihrer Mutter gefunden sind. Der Mann soll endlich hinter Gitter.
Für sie gibt es keinen Zweifel, dass er ihre Mutter getötet hat und
dann den Körper verschwinden ließ. Wochenlang organisierte die
Familie Suchtrupps, ließ Brunnen auspumpen, durchkämmte unwegsames
Gelände. In den ersten Nächten nach ihrem Verschwinden hielt
Catalina Serra gemeinsam mit ihrem Mann Wache vor dem
Apartmenthaus, in dem Bestard zuletzt gesehen worden war. Falls
irgendjemand versuchen sollte, ihre Leiche zu entsorgen. Allmählich
weiß Catalina Serra nicht mehr, wo sie noch suchen soll. „Was
können wir schon zu fünft ausrichten? Die Polizei müsste mehr tun.
Jeder kleine Ölfleck im Meer ruft einen größeren Einsatz hervor als
das Verschwinden meiner Mutter.” Erst nach drei Tagen habe es einen
systematischen Sucheinsatz gegeben.
Oft ist es die Polizei, die sich in Vermisstenfällen heftige
Kritik der Angehörigen gefallen lassen muss. Zu spät werde der
Ernst der Lage erkannt und die Suche oft viel zu früh wieder
eingestellt. Zwar ist die Kritik verständlich, findet Pep Matas,
berechtigt aber nicht. Kaum einer kennt die Polizeiarbeit auf
Mallorca so gut wie der Reporter der spanischen Tageszeitung
„Ultima Hora”. „Vermisstenfälle werden bei der Polizei nicht
geschlossen. Sie bleiben auf dem Tisch”, sagt Matas. Eine Person
verschwinden zu lassen sei auf Mallorca aber ein Leichtes. Das Meer
biete da viele Möglichkeiten und auch auf Baustellen sollen schon
Tote einbetoniert worden sein.
Ende vergangenen Jahres tauchte am Strand von Portals Vells ein
bereits stark verwester Leichnam auf. Ihm fehlten die Gliedmaßen.
Die Fotos in den Zeitungen waren grauenhaft. Das Gerücht machte die
Runde, es handele sich um den Körper von Margalida Bestard. Erst im
Labor konnten die Gerichtsmediziner nachweisen, dass die Leiche
bereits mehr als ein halbes Jahr im Wasser schwamm. Es handelte
sich um die Überreste einer Seniorin, die lange vor Bestard
verschwunden war. Eine Erleichterung war das für Catalina Serra
nicht.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.