Sie führt ein Doppelleben. Tagsüber ist sie Top-Model in einer Welt voller Luxus und Glamour, nachts lebt sie als Escort-Dame ihren Drang nach neuen Erfahrungen und Abenteuern aus. Dies ist die „Carmen“ von Víctor Ullate, dessen Compagnie das Ballettstück am Samstag, 24. Februar, im Auditorium in Palma aufführen wird.
Fast 150 Jahre ist es her, dass die gleichnamige Oper von George Bizet in Paris uraufgeführt wurde. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Gitana Carmen, eine leidenschaftliche, verführeri-sche Frau, die sich nimmt, wen sie will, und am Ende von ihrem eifersüchtigen abgelegten Liebhaber erstochen wird, dem Wachsoldaten Don José, der für sie seine bürgerliche Existenz aufgegeben hat.
War die Uraufführung der Oper noch ein Flop, begann die internationale Erfolgsgeschichte der Oper wenige Monate später in Wien mit einer neuen Fassung mit Ballett. Im 20. Jahrhundert hat es mehrere Bearbeitungen von „Carmen“ gegeben. 1969 schrieb der russische Komponist Rodion Schtschedrin die Oper für seine Frau, die Primaballerina Maja Plissezkaja in eine Suite um. 1971 schuf in Stuttgart der Choreograf John Cranko aus der Geschichte ein abendfüllendes Handlungsballett. 1983 versetzte Regisseur Carlos Saura den Stoff für seinen Film in die Welt des Flamenco. Etwa zeitgleich brachte Peter Brook „Die Tragödie von Carmen“ auf die Theaterbühne.
Nun haben Víctor Ullate und sein stellvertretender künstlerischer Direktor und Lebensgefährte Eduardo Lao eine „Carmen des 21. Jahrhunderts“ geschaffen, die das Víctor Ullate Ballet seit Mitte des vergangenen Jahres auf den Bühnen des Landes präsentiert.
Man wolle weg von den Klischees und Gemeinplätzen, um in das Wesen der Geschichte einzutauchen und ein neues Licht auf eine der vielschichtigsten Figuren der zeitgenössischen Fiktion zu werfen, begründet Ullate sein Anliegen.
Zu diesem Zweck hat der Choreograf das Stück in einen zeitlosen Raum jenseits aller Bräuche, aller Gitano- und Torero-Romantik verlegt. Zwischen Publikum und Protagonisten solle es keine Zeitschranke geben, so Ullate. Mit der Aktualisierung geht eine Revision von Figuren, Bühnenbild und Kostümen einher, ebenso der Musik, die neben teils neu orchestrierten Originalstücken aus Bizets Oper auch Kompositionen von Pedro Navarrete enthält, Sinfonisches mit Percussion, Historisches mit Zeitgenössischem verbindet. Auch neue Figuren hat Ullate eingeführt. Neben den Freundinnen von Carmen ist diese der Tod, der als eine Art roter Faden vor Gefahr warnt und das unentrinnbare Schicksal ankündigt. In einem Satz: Neu und gewagt soll es sein, aber trotzdem respektvoll, was die Essenz der Geschichte betrifft.
Bar aller historischer Schichten, bleibt die Geschichte einer Femme fatale, der die Gesellschaft zum Korsett wird, dem sie entfliehen will. Wie die Pariser Bürgerfrau Séverine Sérizy im Film „Belle de Jour“ von Luís Buñuel führt die Carmen von Ullate ein Doppelleben, ist eine Figur voller Licht und Schatten, attraktiv, rätselhaft und Grenzen übertretend.
Mit seiner Version von „Carmen“ hat Víctor Ullate noch einmal ein Zeichen gesetzt. Das Stück ist gewissermaßen sein Testament: Mit ihm steht Ullate, der einst von Maurice Béjart als einer der komplettesten Tänzer des 20. Jahrhunderts bezeichnet wurde und eine von Spaniens bedeutendsten Compagnien gegründet hat, am Ende einer mehr als 60-jährigen Karriere. Anfang des Jahres kündigte er an, seine Compagnie und mit ihr auch den Tanz verlassen zu wollen. Es sei Zeit, auszuruhen, neuer Energie Platz zu machen und neue Horizonte zu öffnen, so Ullate.
Seine Nachfolge wird im September jene Primaballerina antreten, die bei ihm ihre Karriere begann, und die Ullate einmal als seinen „Augapfel“ bezeichnete: Lucia Lacarra. Erst 2011 war die Tänzerin, die lange Erste Solistin beim Bayerischen Staatsballett war, bei der World Ballet Stars Gala in Sankt Petersburg zur Tänzerin des Jahrzehnts gekürt worden. Am 24. Februar wird Lacarra in Palma als Gasttänzerin mit dem Víctor Ullate Ballet auf der Bühne stehen.
AUF EINEN BLICK
Samstag, 24. Februar, 21 Uhr: Víctor Ullate Ballet und Lucia Lacarra: Carmen
Eintritt:
32 bis 45 Euro
Karten:
auditoriumpalma.com; Theaterkasse
Ort:
Auditorium, Paseo Marítimo 18, Palma
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