TW
0

Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer, die gestern das Neujahrskonzert der Sinfoniker im Kongresspalast besuchten, dürften noch die Klänge aus Wien, die das ZDF ab 11.15 in den Äther geschickt hatte, im Ohr gehabt haben. Und auch die etwas pathetischen Worte von Riccardo Muti: der hatte im Vorfeld seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, „dass die Wellen der ‚blauen Donau‘ Schiffe voller Schönheit, Harmonie und Liebe antreiben« mögen. Und so betitelte der Wiener „Kurier« seine Kritik denn auch „Riccardo Muti und die süße Pein des Seins«. Nun, von Pein konnte gestern Abend keine Rede sein. Joji Hattori, dem hehre Sätze Muti’scher Prägung fremd sind, wollte dem Publikum ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und dass er, der Mann aus dem Land des Lächelns mit Wahlheimat Wien, das auf klanglich höchstem Niveau zu bewerkstelligen vermochte, wurde von Pausenkommentaren wie „die Wiener Philharmoniker hätten das nicht schöner spielen können« bestätigt.

Der erste Teil des Konzerts war traditionellen Wiener Neujahrs-Klassikern gewidmet. Los ging’s mit der schwungvoll musizierten „Fledermaus«-Ouvertüre. Danach betrat die junge amerikanische Sopranistin Lauren Urquhart die Bühne. In akzentfreiem Deutsch verkündete sie, die „Unschuld vom Lande« (auch aus der „Fledermaus« spielen zu wollen. Bei der „Frauenherz«-Polka, „Wiener Blut« und „Wo die Zitronen blüh’n« konnte Hattori die Früchte der unermüdlichen Arbeit Pablo Mielgos am Klang der Sinfoniker ernten: der Sound dieses Klangkörpers braucht den Vergleich mit den Wiener Philharmonikern längst nicht mehr zu scheuen. - Im „Schwipslied« aus der „Nacht in Venedig« spielte die Sängerin auch ihre schauspielerischen Qualitäten aus. „Auf der Jagd« und der Allzeit-Kracher „Meine Lippen küssen so heiß« beendeten den ersten Teil.

Nach der Pause wurde es „polyglott«, wie Hattori in gutem Spanisch ankündigte. Gleich das erste Stück, Harold Arlens Suite aus „Wizzard of Oz«, wehte einen Touch von Hollywood in den Saal. Arlens raffiniert instrumentierte Musik ließ Hattori, der einen ausgeprägten Sinn für einen geradezu kulinarischen Sound besitzt, alles aus dem Orchester herausholen, was in ihm steckt. Und spätestens bei dem Zitat aus Schumanns „Fröhliche(m) Landmann« wurde der Abend zu einer Art Sing-along-Party. Die Herrschaften in der Reihe hinter mir jedenfalls vermochten ihre Stimmbänder nicht länger im Zaum zu halten und sangen fröhlich, wenngleich ein wenig falsch, mit. Keine Frage, so etwas gehört sich nicht, zum Mitmachen gab’s ja schließlich noch den Radetzkymarsch… Goutieren wir diese Zügellosigkeit entschuldigend als Zeichen der Begeisterung, auch wenn’s etwas störend wirkte! – Mit „The Waltzing Cat« von Leroy Anderson erreichte die Fröhlichkeit ihren vorläufigen Höhepunkt: die Herren des Orchesters ahmten das Hundegebell am Schluss nach – und meine sangesfreudigen Mitbesucher versuchten wunderbarer Weise nicht zu konkurrieren! – Von „I Feel Pretty«, dem nach „America« größten Hit aus Leonard Bernsteins famoser „West Side Story«, gibt es zahllose Aufnahmen, vom Original-Soundtrack des Films (mit Nathalie Wood) bis hin zu Lennys eigener Aufnahme mit Kiri Te Kanawa. Lauren Urquhart versuchte eine Synthese aus beiden: von Nathalie Wood übernehm sie die jugendlich-spielerische Unbekümmertheit, von der großen Te Kanawa den opernhaften Belcanto. – Nach der neckischen Darbietung von Andersons „Sandpaper Ballet« – Hattori und zwei Orchestermusiker schlüpften in weiße Handwerker-Overalls und schmirgelten mit zwei Sandpapier-beklebten Brettchen lustig drauf los – zog die Sopranistin mit „Girl in 14G« noch einmal alle Register ihres Komiker-Talents – und der Wandlungsfähigkeit ihrer begnadeten Stimme. Der nach alter Tradition zugegebene Donauwalzer samt Mitklatsch-Radetzkymarsch zeitigte - wie könnte es anders sein? – standing ovations. – Das Konzert wird heute Abend in Manacor wiederholt, Karten gibt’s auf der Website des dortigen Auditoriums.