In diesem Jahr habe ich für die Weihnachts-Kolumne ein Thema gewählt, das vielleicht polarisiert. Es geht um Trauer. Auch ich habe schon die Erfahrung machen müssen, dass das erste Jahr nach einem Verlust besonders schwer zu ertragen ist. Vielleicht kann ich deshalb so gut nachvollziehen, wie es den Menschen geht, die mich aufsuchen, wenn sie sich Unterstützung wünschen nach einem schweren Verlust. Die Klienten haben einen Todesfall zu beklagen oder müssen eine Trennung überstehen. Gerade im Dezember, in der dunklen Jahreszeit mit den Festtagen, kann das besonders belastend sein.
Das erste Mal Weihnachten ohne einen geliebten Menschen fühlt sich oft wie eine Prüfung an, die unüberwindbar scheint. Die Rituale und Traditionen, die uns sonst Halt geben, verwandeln sich plötzlich in schmerzvolle Erinnerungen. Der Duft von Plätzchen, die gemeinsam gebacken wurden, das Aufstellen des Baumes, das immer ihr oder sein Job war – all das wird zu einem Echo des Verlustes, das tief in die Seele dringt.
Die Last der ersten Male
Die "ersten Male" nach einem Verlust sind immer schwer. Der erste Geburtstag ohne diesen besonderen Menschen, der erste Urlaub, der erste Sonntagmorgen, an dem die vertraute Stimme fehlt. Doch Weihnachten nimmt eine besondere Rolle ein. Es ist mehr als ein Fest; es ist eine Ansammlung von Ritualen, die über Jahre hinweg gepflegt wurden. Diese Rituale können wie ein Anker wirken – oder wie ein schwerer Stein, der uns tiefer in die Trauer zieht.
Psychologisch betrachtet sind diese "ersten Male" wichtige Schritte im Trauerprozess. Sie zwingen uns, uns mit der Leerstelle auseinanderzusetzen, die der Verlust hinterlassen hat. Das kann uns grausam erscheinen, ist aber für viele Menschen ein wichtiger Teil der Heilung. Trauer verläuft nicht in geraden Linien, sie hat keinen geordneten Ablauf von Phasen, die man einfach abhakt. Vielmehr zeigt sie ein ständiges Pendeln zwischen Konfrontation und Verdrängung, zwischen Schmerz und Momenten der Ablenkung.
Bleiben oder brechen?
Viele Trauernde stehen vor der Frage, ob sie die gewohnten Traditionen aufrechterhalten oder alles anders machen sollen. Beides hat seine Berechtigung – und beides ist erlaubt. Manche Menschen finden Trost darin, die alten Rituale weiterzuführen. Sie decken den Tisch wie immer, hängen die gleichen Kugeln an den Baum, hören dieselben Lieder. Diese Kontinuität kann ein Gefühl der Nähe zur verlorenen Person schaffen.
Andere wiederum entscheiden sich bewusst für Veränderung. Sie verreisen, laden andere Menschen ein oder verzichten ganz auf die Feierlichkeiten. Diese Entscheidung wird oft von einem Gefühl der Überforderung begleitet: Wie soll man ein Fest der Freude feiern, wenn die eigene Welt gerade alles andere als freudvoll ist?
Die Psychologie bietet hier einen pragmatischen Ansatz: Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Rituale können angepasst werden. Ein leerer Stuhl am Tisch kann bewusst als Symbol der Erinnerung genutzt werden. Eine Kerze kann angezündet werden, um den geliebten Menschen zu ehren. Solche Gesten geben der Trauer Raum, ohne dass sie alles überlagert.
Der Druck des perfekten Festes
Ein weiteres Problem für Trauernde ist der gesellschaftliche Druck, an Weihnachten glücklich zu sein. Das "Frohe Weihnachten", das in Karten, Nachrichten und Gesprächen überall auftaucht, kann wie ein Hohn wirken. Die Erwartungshaltung, dass man lächeln und dankbar sein soll, ist erdrückend – vor allem, wenn einem gerade nicht danach ist.
Es ist daher wichtig, sich selbst zu entlasten. Weihnachten muss nicht perfekt sein. Wenn der Baum schief steht oder das Festessen improvisiert wird, ist das in Ordnung. Spontan auftretende Gefühlswallungen sollten, wenn möglich, nicht verdrängt werden. Nehmen Sie sich eine kurze Auszeit, gehen Sie für einen Moment an die Luft, atmen Sie tief durch. In diesem Jahr darf alles anders sein.
Trauer als Teil der Liebe
Es ist ein schmerzhafter Gedanke, aber ein tröstlicher zugleich: Trauer ist der Preis, den wir für die Liebe zahlen. Je tiefer die Beziehung war, desto größer ist die Lücke, die sie hinterlässt. Doch genau das zeigt auch, wie wertvoll und wichtig dieser Mensch, diese Beziehung war.
Die "Dual-Process-Theorie" in der Psychologie beschreibt das ständige Hin und Her zwischen Konfrontation und Verdrängung. Trauernde wechseln zwischen Momenten, in denen sie den Verlust direkt spüren, und solchen, in denen sie versuchen, weiterzumachen. Dieses Pendeln ist gesund und notwendig. Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg zu trauern – es gibt nur den eigenen Weg.
Weihnachten kann dabei zu einem wichtigen Schritt werden. Die Erinnerung an die gemeinsame Zeit mag schmerzhaft sein, aber sie ist auch ein Zeichen dafür, wie viel uns diese Person bedeutet hat.
Ein neues Weihnachten
Weihnachten ohne einen geliebten Menschen wird nie wieder so sein wie zuvor. Aber mit der Zeit kann es anders werden – nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Neue Rituale können entstehen, alte können angepasst werden.
Ein Gedanke, der dabei helfen kann, ist die Frage, was die verstorbene Person sich gewünscht hätte. Hätte sie gewollt, dass man in der Trauer erstarrt? Oder hätte sie sich gewünscht, dass man das Leben weiter feiert – mit allem Schmerz, aber auch mit allem, was noch kommen mag?
Es gibt keinen einfachen Weg durch die Trauer. Aber es gibt Wege, die Trauer in das Leben zu integrieren. Weihnachten kann ein Anfang sein, eine Gelegenheit, die Erinnerung zu ehren und trotzdem Platz für Neues zu schaffen.
Eine Kerze für dich
Vielleicht wird an diesem Weihnachten ein Platz am Tisch leer bleiben. Aber vielleicht steht dort auch eine Kerze, die für all das steht, was bleibt: die Liebe, die Erinnerung, die Dankbarkeit.
Das erste Weihnachten ohne den geliebten Menschen wird schwer. Aber es ist auch ein Anfang – ein erster Schritt, die Trauer zuzulassen und gleichzeitig Raum für das Leben zu schaffen.
Denn eines bleibt sicher: Wer nicht mehr hier ist, kann trotzdem da sein. In Erinnerungen, in Gedanken, in allem, was bleibt. Weihnachten wird anders – aber anders heißt nicht weniger wertvoll. In diesem Sinne.
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