Alles reißt sich um Paul: Nicht nur, dass das Palma Aquarium ihn
auf einen zweiwöchigen Urlaub eingeladen hat, jetzt ist der wohl
berühmteste Krake der Welt auch noch Ehrenbürger von Carballiño.
Der Bürgermeister der kleinen spanischen Gemeinde, Carlos Montes
will Paul die Auszeichnung persönlich überreichen und bei dieser
Gelegenheit gleich zum Gastronomiefest in Carballiño einladen.
Pikantes Detail: Der Ort lebt ausgerechnet von der Verarbeitung von
Pauls Artgenossen. Ob der Krake die Einladung annehmen wird, bleibt
also abzuwarten. Paul ist mit zweieinhalb Jahren – Oktopusse leben
nur zwei bis drei Jahre – auch schon ein alter Herr und bereits in
Rente. Daher wird es dem Ruheständler wohl auch zu anstrengend
sein, einmal in der Woche nach Indien zu fliegen, um dort zu
prophezeien, welcher Kandidat das Big-Brother-Haus verlassen muss –
auch diese Einladung flatterte dem achtarmigen WM-Held nach seinen
hellseherischen Erfolgen ins Wasserbecken.
Krakenkult hin oder her, wie intelligent sind Paul und Konsorten
denn nun wirklich? „Wenn man einem Kraken ins Auge sieht, hat man
ein Gefühl des Erkennens. Es kommt einem vor, als ob man ganz genau
gemustert wird”, erzählt die Biologin Sevgi Yaman über ihre
Begegnungen mit den oft falsch eingeschätzten Meeresbewohnern. Die
Lern- und Anpassungsfähigkeiten des Kraken sprächen für ein sehr
hochentwickeltes Gehirn. „In Aquarienhaltung lernen diese Tiere
auch voneinander, ein Verhalten, das sonst eigentlich nur bei höher
entwickelten Säugern beobachtet wird und keinesfalls bei einem so
primitiven Tier.” Durch Legenden, die von monströsen Artgenossen
erzählen, die ganze Schiffe mit Besatzung in die Tiefe reißen, hat
der Krake jedoch mit Vorurteilen zu kämpfen. „Die Angst vieler
Nichttaucher vor Kraken ist historisch gewachsen. Tatsächlich ist
aber kein Fall bekannt, in dem ein Krake einen Menschen mit seinen
Tentakeln umfing und in die Tiefe zerren wollte”, erklärt Yaman mit
einem Lachen. Vielmehr sei er ein sehr neugieriger, aber auch
vorsichtiger Zeitgenosse. Dabei habe jedes Individuum seinen ganz
eigenen Charakter. Verspielte und besonders neugierige Exemplare
gehen mit Tauchern auch schon mal auf Tuchfühlung. „Ein Krake
setzte sich auf meinen Arm, als ich eines Nachts tauchen war”,
berichtet die Biologin über eine faszinierende Begegnung. „Er
betastete mich fremdes Wesen ganz genau.” Wassersportler lieben die
Oktopusse ganz besonders. „Kraken sind unser aller Lieblinge”,
erklärt Armin Korger, Leiter der Tauchschule Cala Serena im
Robinson Club begeistert. „Sie sind immer gern gesehene Tiere, weil
sie sehr kurzweilig sind. Das sind richtige Animateure, die
Unterwassertheater veranstalten.” Die Zuneigung geht mitunter sogar
so weit, dass ein winziger Babykrake sein eigenes kleines Reich in
einer Salatschüssel bekam: Der Kleine verirrte sich auf das Boot
der Taucher und im Wasser tummelten sich die hungrigen Räuber ...
„In der Werkstatt hat es die ganze Zeit nur so von Tauchern
gewimmelt, die den Kleinen beobachtet und gefüttert haben.” Deshalb
ist eines sonnenklar: In Armins Kochtopf landet kein Krake. „Ich
esse nie Pulpo – Um Gottes Willen!” Auch Kraken sind wie wir
Menschen nicht jeden Tag gleich gut aufgelegt. Aber mit etwas
Fingerspitzengefühl können Taucher sehr schnell das Interesse
dieser Geschöpfe wecken. „Bei einem Nachttauchgang wollte ein
vorwitziger Krake meine Lampe haben”, erzählt Armin. „Er hat sich
richtig auf meine Hand gesetzt und versucht, sie zu bekommen. Da
merkt man schon, dass sie eine gewisse Intelligenz haben.” Kraken
kann man stundenlang beobachten. Bei der Paarung, beim Höhlenbau,
oder auch beim Jagen, wo sie sich als richtige Strategen und
Taktiker erweisen. Wenn er nicht über den Meeresgrund wandelt und
unter Steinen und im Sand nach Futter sucht, beherrscht er auch die
Strategie des Tarnens und Täuschens. Durch die Fähigkeit, seine
Farbe an den Untergrund anzupassen, kann sich der Oktopus unbemerkt
an seine Beute heranpirschen. Jagt er allerdings an felsigen
Stellen, sitzt etwa eine Krabbe vor einer Felswand, inszeniert der
Krake ein Ablenkungsmanöver: Er positioniert sich hinter dem Stein
und schlängelt einen Arm an seine Mahlzeit heran.
Während die Krabbe sich ausschließlich auf den einen Tentakel
konzentriert, kann er sich sein Futter von der anderen Seite aus
bequem schnappen. Die Genialität eines solchen Verhaltens wird
einem erst richtig bewusst, wenn man bedenkt, dass sich jeder Krake
diese Fähigkeiten selbst beibringen muss. Denn: „Kraken sind keine
sozialen Tiere, wie zum Beispiel Ratten, die ihr Wissen über
Generationen weitergeben”, sagt Sevgi Yaman. „Da das Muttertier
nach dem Schlüpfen ihrer Kinder stirbt, sind die Kraken auf sich
gestellt.” Diese Lernfähigkeit sei sicher auch der Grund dafür,
dass sie schon seit 550 Millionen Jahren unsere Ozeane
durchschwimmen. Kraken gehören zu den ältesten Lebewesen der Erde,
ein Umstand, den sie sicherlich auch ihrer Versteckkunst zu
verdanken haben. Es kann passieren, dass ein Krake aus der Öffnung
einer Getränkedose am Meeresgrund hervorlugt. Da Oktopusse
Weichtiere sind, können sie sich durch jeden Spalt zwängen, der so
groß wie der kleinste Saugnapf ist, der auf seinen Tentakeln zu
finden ist.
Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Muschel mit bloßen
Hände aufzubrechen, weiß, dass dies eigentlich ein Ding der
Unmöglichkeit ist. Nicht aber für den Kraken, dessen flexibler
Körper aus Muskelmasse besteht. „Kraken sind ausgesprochen kräftige
Tiere, die Muscheln auseinanderziehen, indem sie ihre Saugnäpfe an
den Schalen festsaugen”, bekräftigt Yaman. Neben ihrer Stärke
zeichnet Kraken aber auch ihre Fähigkeit zum „Landgang” aus. Um
Beutezüge zu unternehmen, begeben sich die Tiere kurz an Land, wo
sie sich bei Ebbe in Gezeitentümpeln verstecken, um Krabben und
Schnecken zu jagen.
Mit all diesen liebenswerten Kuriositäten ausgestattet, kann man
einfach nicht anders, als den faszinierenden Tiefseebewohner ins
Herz zu schließen. Der Krake überrascht uns immer wieder – das
macht auch das Fazit der Taucher verständlich: „Oktopusse versüßen
einem einfach die Unterwasserwelt.”
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