Die Straße zwischen den Steinhäusern ist
so schmal, dass keine zwei Autos aneinander vorbeipassen. Der
Eingang mit dem gemauerten Rundbogen über dem Portal ist
unauffällig, doch dahinter wartet das Dorfhaus mit einer gediegenen
Eingangshalle auf, die den Blick freigibt in einen riesigen
mallorquinischen Garten.
Kaum jemand vermutet in dem altehrwürdigen Gemäuer in Binissalem
ein Museum für Literatur, geschweige denn eines zur Würdigung des
größten Schriftstellers der Insel, nach dem mittelalterlichen
Philosophen Ramon Llull. Die Rede ist von Lorenzo beziehungsweise,
auf Katalanisch, Llorenç Villalonga. Und noch viel mehr: Der
mallorquinische Inselautor gilt, so stellte es einmal die spanische
Tageszeitung "El País" fest, als "der brillanteste Vertreter der
katalanischen Kultur". Villalongas in zahlreiche Fremdsprachen
übersetzter Roman "Das Puppenkabinett des Sen-yor Bearn" ist ein
Klassiker der katalanischen Sprache. In den Oberstufen der Schulen
gehörte er viele Jahre hindurch zur Pflichtlektüre.
Da ist es erstaunlich, dass der Todestag des Schriftstellers,
der vor exakt 30 Jahren starb, von den Kulturgazetten regelrecht
verschlafen wurde. Nicht ein Artikel fand sich in den Feuilletons,
und gerade auf Mallorca ist das um so verwunderlicher, denn es ist
nur wenige Monate her, dass in Palma ein Frühwerk Villalongas als
Schauspiel im Teatre Principal aufgeführt wurde. Das Gastspiel
einer Theatertruppe aus Barcelona fand begeisterten Beifall. "In
Zeiten politischer und wirtschaftlicher Krisen wird die Kultur als
Erstes beschnitten", antwortet die Koordinatorin des
Llorenç-Villalonga-Museums in Binissalem, Carlota Oliva, auf die
Frage nach der Stille um Villalonga. Das Beispiel mache aber auch
deutlich, dass es schwer falle, an Villalonga zu erinnern: "Er war
ein unbequemer Geist." 1897 in eine Soldatenfamilie in Palma
hineingeboren, blieb Llorenç Villalonga anders als seine Brüder der
Tradition nicht treu und schlug eine medizinische Laufbahn ein.
Schon als Student schrieb er Werke sowohl auf Katalanisch als auch
auf Spanisch und fertigte die jeweiligen Übersetzungen zumeist
selbst an. Ein früher Roman erschien 1931 auf Katalanisch, doch
just in diesem Debütwerk gab sich Villalonga explizit als nicht-
Catalá-Verfechter. Vielmehr nahm er darin seine Dichterkollegen der
"Mallorquinischen Schule" aufs Korn, die ihre Poesie im Inselidiom
veröffentlichten. Mit ironisch-spitzer Feder gab Villalonga sie
wegen ihres angeblichen Provinzialismus der Lächerlichkeit
preis.
Der junge Arzt mit besten Beziehungen in die Kreise des Adels
und des hohen Bürgertums genoss in den 1930er Jahren das Leben
eines schöngeistigen Bonvivants. Villalonga ließ sich gerne mit
ausländischen Touristinnen ein, schlürfte in neuen Bars modische
Cocktails und hielt sich mit Schwimmen, Turnen und Boxen fit. Das
waren Lebensweisen, die für Angehörige seines Standes bis dato
undenkbar waren.
Doch angesteckt durch seine Bekanntschaften mit Kubanerinnen,
US-Amerikanerinnen und Nordeuropäerinnen sowie seine Vorliebe für
den französischen Schriftsteller Marcel Proust hatte sich
Villalonga zu einem ausgesprochenen Freigeist entwickelt.
Das unbeschwerte Leben fand mit dem Ausbruch des Spanischen
Bürgerkriegs 1936 sein Ende. Aus heutiger, demokratischer Sicht ist
das, was dann kam, heikel: Villalonga trat der faschistischen
Falange bei, die dem franquistischen Militär auf der Insel vom
ersten Moment an zur Macht verhalf. Der Dichter stellte sein
sprachliches Talent in den Dienst der neuen Machthaber, seine
Aufsätze waren im Radio zu hören. Doch bald schon zog sich
Villalonga aus der Politik ins Private zurück. Er heiratete eine
wohlhabende Mallorquinerin und folgte der Gattin in ihr Dorfhaus
nach Binissalem, wo sich heute das Museum befindet.
Zu Beginn der 1950er Jahre - Villalonga ist Vize-Direktor der
Psychiatrie am Camí de Jesus in Palma - entsteht sein Hauptwerk
"Bearn o la sala de les nines". Unter Fachleuten ist bis heute
umstritten, in welcher Sprache Villalonga den Roman zuerst schrieb.
Katalanisten schwören darauf, dass es auf Katalanisch war. Fakt
ist, dass das Buch erstmals 1956 auf Spanisch erschien. Es war
zunächst ein Flop, sowohl kommerziell als auch bei den Kritikern.
1961 erschien dasselbe Buch auf Katalanisch und entpuppte sich als
Riesenerfolg. Der Literat heimste Preise ein und wurde
international bekannt.
In "Bearn" fasste Villalonga den Niedergang der mallorquinischen
Adelsschicht und den Wandel der Gesellschaft von der Tradition zur
Moderne in Worte. Als Psychiater und feingeistiger Beobachter
wusste er um die seelischen Ängste und Lüste seiner Mitmenschen.
Andere Kunstschaffende erkannten das Potenzial: 1971 wurde das Buch
für das Fernsehen verfilmt, 1983 entstand eine Kinoversion, gedreht
wurde damals auch in den Gärten des Landgutes Raixa bei
Bunyola.
Doch den Kinofilm erlebt Villalonga nicht mehr mit. Er starb am
28. Januar 1980 in Palma, hochgeachtet als Grandseigneur der
Insel-Literatur und umlagert von Nachwuchspoeten aus aller Welt.
Seine Bibliothek und sein Schreibtisch finden sich unverändert im
Dorfhaus in Binissalem.
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