MM: Sie haben fünf Kinder, Herr Hecking. Wie sorgen Sie da
für Ordnung?
Dieter Hecking: Das geht eigentlich relativ gut, weil ich eine Frau
habe, die die Erziehung übernommen hat.
MM: Ist Disziplin wichtig?
Hecking: Für mich schon. Ich bin zwar kein Disziplinfanatiker, aber
man braucht schon eine gewisse Ordnung - im normalen Leben wie auf
dem Spielfeld.
MM: Sie gelten als streng. Zurecht?
Hecking: Ich weiß nicht, wie mich andere Leute sehen, und das ist
mir auch egal. Jeder hat seinen Führungsstil. Meine Mannschaft
weiß, wie weit sie gehen darf und wie weit sie besser nicht gehen
sollte. Klar, ich kann natürlich auch streng sein.
MM: Zuletzt haben Sie den Mannschaftsrat abgeschafft - das
Gremium, das die Interessen des Teams vertritt. Wollen Sie härter
durchgreifen?
Hecking: Ein Mannschaftsrat macht eigentlich gar keinen Sinn mehr.
Da werden die Spieler zu Sachen befragt, die relativ unwichtig
sind. Bei uns wurde im Mannschaftsrat mal eine halbe Stunde über
das neue Vereinslied diskutiert und am Ende hat der Präsident dann
entschieden: Wir nehmen das andere. Wenn wirklich wichtige Dinge zu
entscheiden sind, dann wird sowieso eine größere Runde
einberufen.
MM: Trainieren Sie derzeit den stärksten Kader Ihrer
Trainerlaufbahn?
Hecking: Ja.
MM: Was wollen Sie mit der Mannschaft in dieser Sasion
erreichen?
Hecking: Das Mittelfeld in Deutschland ist sehr breit. Alle Klubs
haben sich verstärkt: Hertha, Dortmund, Frankfurt, selbst Bochum
hat mehr Geld ausgegeben als wir. Das Mittelfeld der Bundesliga hat
aufgerüstet. Wir können eine gute Saison spielen, wir wollen da
sein, wenn andere vor uns schwächeln, müssen aber auch aufpassen,
dass wir nicht von Teams hinter uns überholt werden.
MM: Langfristig muss es für Hannover 96 darum gehen,
international zu spielen. Wo soll der Weg sonst hinführen?
Hecking: Natürlich muss es unser Ziel sein, auch mal europäisch zu
spielen. Aber in Deutschland sind nun einmal drei, vier Vereine
weit enteilt, was die wirtschaftlichen Voraussetzungen angeht. Der
Hamburger SV hat 100 Millionen Euro Umsatz, Hannover 96 nur 47
Millionen. Da sieht man schon, wo die Schwierigkeit liegt.
Letztendlich schießt Geld eben doch Tore. Wenn man sieht, wie der
VfL Wolfsburg aufrüstet - diese Möglichkeiten haben wir nicht. Da
haben wir keine Chance. Das muss man ganz realistisch sehen und
nicht Ziele einfordern, die nicht zu erreichen sind.
MM: Droht also Langeweile in der Bundesliga?
Hecking: Die Bundesliga ist nicht langweilig. Aber es ist nun
einmal so, dass die Klubs, die das Geld haben, den kleineren
Vereinen immer wehtun können, indem sie ihnen die besten Spieler
wegkaufen. So ist es fast schon unterbunden, dass Mannschaften von
hinten aufschließen. Auf Dauer aufzuholen geht eben nur, wenn man
auch wirtschaftlich mit den ersten vier, fünf mithalten kann.
MM: Hannovers Präsident Martin Kind fordert, dass Investoren
Bundesliga-Vereine übernehmen dürfen. Sehen Sie hier eine
Möglichkeit, das Kräfteverhältnis zugunsten von Vereinen wie
Hannover 96 zu verschieben?
Hecking: Die Änderung der Regel würde die Zukunfts- und
Wettbewerbsfähigkeit aller Vereine in Deutschland verbessern. Wir
wollen 96 im oberen Tabellendrittel etablieren - dazu sind nicht
nur das Engagement strategischer Investoren wichtig, sondern
natürlich auch sehr gute Arbeit auf dem Platz und eine kluge
Transferpolitik.
MM: Wie fällt Ihr Fazit der Europameisterschaft aus?
Hecking: Sie war sehr offensiv. Mir haben viele Spiele Spaß
gemacht. Die deutsche Mannschaft ist unter ihren Möglichkeiten
geblieben. Was sie in den Qualifikationsspielen gezeigt hatte, hat
sie nur gegen Portugal annähernd bestätigt. Man hat aber auch
gesehen, was mit mannschaftlicher Geschlossenheit möglich ist. Dass
wir am Ende nur Vize-Europameister geworden sind, lag daran, dass
Spanien an dem Tag einfach besser war.
MM: Warum konnte die deutsche Mannschaft die Leistung aus der
Qualifikation nicht wiederholen?
Hecking: Deutschland hatte
einige Spieler dabei, die zum Beispiel wegen Verletzungen nicht auf
dem höchsten Leistungsstand waren. Vielleicht hat auch die
Lockerheit gefehlt, weil der Druck so groß war. In Deutschland war
ja schon gefordert: Finale, am besten Europameister. Als
Bundesliga-Trainer hätte ich mir gewünscht, dass unsere Mannschaft
besser auftritt, als sie es in manchen Spielen getan hat.
MM: In Deutschland scheint es egal zu sein, wie das Team
spielt, solange es weit kommt.
Hecking: Die Begeisterung für den Fußball in Deutschland ist
riesengroß. Man hat ja gesehen, was auf den Fanmeilen los war. Das
verwässert natürlich so ein wenig den Eindruck des tatsächlichen
Geschehens auf dem Platz. Durch die gute Stimmung im Land wurde
sicher das eine oder andere kaschiert, das auch Anlass zur Kritik
gegeben hätte: die Spiele gegen Kroatien, Österreich und die Türkei
etwa.
MM: Gehören Sie eher zu den Trainern, die in
Fußball-Deutschland einen enormen Nachholbedarf sehen, oder zu
denen, die sagen: Wir sind WM-Dritter und Vize-Europameister - ist
doch alles gut?
Hecking: Ich gehöre zu denen, die sagen: EM-Finale gut, aber es
geht besser. Andere Teams, wie zum Beispiel Niederlande oder
Russland, haben nicht die Qualität gezeigt, um bis ins Finale
vorzustoßen.
MM: Die haben aber begeisternden Fußball gespielt.
Hecking: Ja. Aber das ist immer die Diskrepanz. Der Aufschrei wäre
groß gewesen, wenn Deutschland mit tollem Fußball durch die
Vorrunde marschiert und dann im Viertelfinale ausgeschieden wäre.
Das ist der schmale Grat, auf dem wir Trainer und Spieler wandeln.
Letztlich zählt in der heutigen Gesellschaft nur der Titel.
MM: Sollte es eine deutsche Nationalmannschaft aber nicht
zumindest im Repertoire haben, technisch hochklassigen Fußball zu
spielen?
Hecking: Ja. Und ich glaube, da sind in den
letzten Jahren auch deutliche Veränderungen passiert. Wir sind auf
einem guten Weg, müssen aber weiter hart daran arbeiten, das zu
verfestigen und zu verfeinern, damit dann zu dem
ergebnisorientierten Fußball auch der attraktive Fußball kommt.
MM: Wie ordnen Sie da den Europameistertitel der
U19-Nationalmannschaft ein?
Hecking: Sehr hoch. Das zeigt nämlich, dass wir im Nachwuchsbereich
die ersten Früchte tragen.
MM: Wo sehen Sie den deutschen Vereins-Fußball im
internationalen Vergleich?
Hecking: Auf Vereinsebene haben wir das Problem, dass in Russland,
England, Spanien, Italien Spielern mehr Geld gezahlt werden kann.
Nicht umsonst standen dieses Jahr wieder zwei englische Vereine im
Champions-League-Finale. Wenn ich mehr finanzielle Möglichkeiten
habe, dann ist es auch einfacher erfolgreich zu sein. Ich glaube,
dass die Bundesligaklubs deutlich mehr Geld bekommen könnten, wenn
sie sich besser vermarkten würden. Ein Ansatz ist da das
Pay-TV.
MM: Es müsste also auch in Deutschland dahin gehen, dass
Fußball wie in anderen europäischen Ländern exklusiver im Pay-TV
gezeigt wird - auf Kosten der Sportschau?
Hecking: Wenn wir in Deutschland wollen, dass unsere Klubs
international erfolgreich sind, dann müssen wir uns der
Gesetzmäßigkeit in Europa anpassen. Sonst wird es sehr schwer, dass
eine deutsche Mannschaft wieder die Champions League gewinnt.
Die Fragen stellte Jonas Martiny
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