Die Geisterstunde am Flughafen Palma beginnt
mit einem Sieg der Pünktlichkeit: Exakt um null Uhr landet die
Maschine aus dem baskischen Vitoria planmäßig, zeitgleich leuchtet
auf dem Tele-Bildschirm neben „00.00 Vitoria JK 2680” in roten
Lettern der Schriftzug „En Tierra”, gelandet, auf.
Nicht schlecht für einen Airport, der wieder einmal eines seiner
stärksten Verkehrsaufkommen zu bewältigen hatte. Denn Anfang August
geht es auf Son Sant Joan immer hoch her. Allein am vergangenen
Samstag – dem ersten Wochenende des traditionellen Reise- und
Urlaubsmonats in Spanien sowie dem Gipfel der Hochsaison auf
Mallorca – starteten und landeten 924 Flugzeuge in Palma. Das
heißt: Alle 1'5 Minuten mussten die Mitarbeiter des
Kontrollzentrums im Schnitt eine Maschine sicher zu Boden oder in
die Luft geleiten. Rund 154.000 Passagiere nahmen in jenen 24
Stunden die Hallen, Säle und Laufbänder des Airports unter ihre
Füße.
Von Donnerstag bis Sonntag waren es 3800 Starts und Landungen,
rund 620.000 Menschen, das Eineinhalbfach der Einwohnerzahl Palmas,
wurden am vergangenen Wochenende abgefertigt. Der Flughafen ist
permanent in Betrieb, auch nachts, sagt Airportsprecherin Margalida
Ferrandiz. „Son Sant Joan schläft nie.”
Und das sieht im Detail mitunter so aus: Gut eine halbe Stunde
nach Mitternacht, die Uhren zeigen bereits Sonntag, tauchen zwei
junge Frauen, Anfang 20, in der Abflughalle auf. Der Rollkoffer der
einen ist zebragemustert, der andere so knallig rosa wie das
Bikini-Oberteil seiner Besitzerin. Es ist gut sichtbar, denn das
grün-fluoreszierende Top, das die Blondine darüber trägt, spart die
Brüste aus. Dafür prangt auf dem Rücken: „Kim, here we, here we,
here we fuckin' go!” Die Warteschlangen an den Check-In-Schaltern
88 bis 101 für die Ziele in Großbritannien sind so lang, dass sie
den ganzen Quadranten bis zur benachbarten Schalterreihe füllen.
Dichtgedrängt stehen hier Koffer, Rollwagen und Menschen mit einer
abenteuerlichen Vielzahl von Tätowierungen auf der zumeist
bedenklich sonnengeröteten Urlauberhaut.
Schnell haben die Briten heraus, dass die Waagen selbst an den
unbesetzten Schaltern funktionieren. Auch die beiden Engländerinnen
überprüfen das Gewicht ihres Gepäcks. So manche Billig-Airline ins
Reich der Queen lässt nur 15 Kilo pro Koffer zu, ein Gramm mehr,
und es werden zehn Euro fällig.
Aufregung bricht aus. Hektisch reißen die beiden Frauen ihre
Koffer auf und stopfen Wäscheknäuel ins Handgepäck. Ihre Koffer
sind chaotisch gepackt. Aus Plastiktüten vom Supermarkt quellen
zerknautschte, wohl getragene Textilien schier über.
Die jungen Männer in den Warteschlangen grinsen und feixen. Denn
bei der Herumturnerei der Umpackerinnen am Boden rutschen die
Jeans-Miniröcke in unvorstellbare Höhen. Der Anblick der langen
Beine bringt Leben in die Burschen, die bis dato verkatert,
übernächtigt oder immer noch nicht ganz nüchtern dreingeschaut
hatten. Wer von ihnen kein T-Shirt zu seinen Tarnmuster-Bermudas
kombiniert hat, trägt auch mal einen Trainingsanzug oder noch das
Scherzbold-Baströckchen vom letzten Diskotheken-Besuch in Magaluf.
Die Party muss am Flughafen ja nicht zu Ende sein.
Die Anzeigetafel verrät: Am Sonntag, von null bis sieben Uhr,
starteten in Palma 49 Flüge, die meisten nach Großbritannien, ein
paar nach Skopje, Billund, Istanbul, Trondheim, Cork. 46 Maschinen
landeten in der Zeit. Kaum eine von ihnen kam oder ging in die
Bundesrepublik. Sind die Deutschen zu vornehm, um mit den Briten
die Nacht am Airport zum Tag zu machen? Weit gefehlt. Es ist das
Nachtflugverbot in Deutschland, das ihnen die Bettruhe
vergönnt.
Doch auch Nachtflieger kennen Tricks, um noch eine Mütze Schlaf
zu finden. Sie legen sich auf den Sitzbänken am Airport lang. Auch
die Freiluftterrasse von Son Sant Joan samt ihren vielen
Sonnenliegen verwandelt sich nachts in ein einzigartiges
Schlaflager der Abreisenden. Sie betten sich auf Strandtücher, das
Handgepäck wird zum Kopfkissen. Dunkel ist es dort nachts, zwischen
den Zypressen, mild die Luft im Freien, man könnte fast die Grillen
und das Meer hören, wenn die Flieger nicht wären. Doch wer da
schläft, den stört auch das nicht. Son Sant Joan ist ein letztes
Stück „Insel der Stille”, kurz vor dem Abflug.
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.