Mallorcas Schuhindustrie ist traditionell, international und
hochmodern. Das klingt zwar wie ein Widerspruch, ist es aber nicht.
Wie keine andere Branche der Insel haben die Hersteller der
Fußbekleidung es verstanden, sich den Wirren der Jahrhunderte bis
heute anzupassen.
Mallorcas Schuhbranche hat mindestens genauso viel Tradition
aufzuweisen wie der Rotwein, das Olivenöl oder die Sobrassada der
Insel. Das Handwerk reicht weit ins Mittelalter zurück. Die
Erlaubnis zur Bildung von Zünften, erteilt vom aragonesischen König
Pere, wurde im Jahre 1370 beurkundet. So kann so manche Schuhfirma
von heute mehr Jahre vorweisen als die renommiertesten Bodegas der
Insel, und in vielen Familienunternehmen wird das Handwerk in
dritter, vierter oder fünfter Generation fortgeführt.
Und zwar mit Erfolg: Es gibt Schuhmarken wie etwa Camper, die zu
den Global Playern in Sachen Schusters Rappen zählen. Die Firma hat
ihren Sitz in der Lederstadt Inca, doch viele der Camper-Kunden in
New York, Rio oder Tokio haben nur eine vage Vorstellung davon, wo
Mallorca liegt, wenn überhaupt. „Es gibt nicht wenige Menschen –
Touristen wie Mallorquiner selbst – die in den Schuhgeschäften in
Palma Schuhe renommierter Marken kaufen, und dann erstaunen, wenn
sie erfahren, dass diese Ware von der Insel selbst stammt”, sagt
Margalida Coll Seguí, Geschäftsführerin des Verbandes der
balearischen Schuhproduzenten (Afaca). Das mag zwar ein Ärgernis
für die Branche sein. Aber, Herstellernamen wie „George's” oder
„Lottusse” assoziiert der unbedarfte Schuhkäufer eher mit edlem
Leder altenglischen Stils oder mit französischer Eleganz. Mallorca
und Handgenähtes an den Füßen? Da denkt man doch eher an
Alpargatas, den Leinen-Latschen mit geflochtener Bastsohle...
Indes, der archaische Hauch führt auf die falsche Fährte. Die
Schuhhersteller der Insel gefallen sich in Innovation und Design.
Schon seit Jahren gibt es ein eigenes Technologie-Institut zum
Prüfen neuer Materialien. Auch wenn nicht mehr jede Firma direkt
auf der Insel herstellen lässt, Produktgestaltung und Vertrieb
befinden sich hier.
Was auf Mallorca an die Leisten genagelt wird, kann sich
weltweit sehen lassen. Und es ist vom Preis-Leistungs-Verhältnis
her gefragt. „Einige unserer Markenhersteller spielen weltweit ganz
vorne mit”, sagte Margalida Coll nicht ohne Stolz.
Spanienweit sind die Balearen sowieso führend. Obgleich der
Anteil an der nationalen Produktion lediglich 5'3 Prozent (2005)
beträgt, gelten die balearischen Schuhe als die innovativsten. Und
auch als die hochpreisigsten.
Das heißt aber nicht, dass bei den Schuhfabrikanten auf der
Insel einzig eitel Sonnenschein herrscht. Im Zeitalter der
Globalisierung macht ihnen die Konkurrenz aus Ländern wie China
oder Vietnam schwer zu schaffen. Die Zahlen der balearischen
Handelskammer sprechen für sich: In den ersten acht Monaten des
laufenden Jahres exportierten die rund 100 balearischen Schuhfirmen
für 90 Millionen Euro Waren ins Ausland. Das waren acht Prozent
weniger als im Vergleichszeitraum 2005. Aus China gelangten indes
Schuhe im Wert von 10'3 Millionen Euro auf den Archipel. Gegenüber
dem Vorjahreswert waren damit aus dem Reich der Mitte dreimal so
viel Schuhe auf die Inseln gelangt. China habe die europäischen
Märkte mit Waren zu Dumping-Preisen überschwemmt, schimpft
Margalida Coll und lobt die Zollmaßnahmen der Europäischen
Union.
Aber China und seine Bevölkerung sind für die balearischen
Hersteller selbst als Exportmarkt interessant. Der Warenstrom in
das asiatische Land mit der wachsenden Kaufkraft seiner Ober– und
Mittelschicht nimmt zu. So exportierten die Inselfirmen von Januar
bis August 2006 Schuhe im Wert von 591.800 Euro nach China. Im
gleichen Zeitraum 2005 betrug der Warenumsatz lediglich 391.200
Euro. Fazit: Betuchte Chinesen stehen ebenfalls zunehmend auf Leder
von Inselfirmen wie Barrats, Farrutx, Kollflex, Veletto, Ballco,
Bay...
Die Balearen-Regierung setzt sich mit der Eröffnung eines
Handelszentrums in Shanghai ihrerseits für den Absatz
mallorquinischer Schuhe ein. Allein von 2003 bis 2006 investierte
das Handelsministerium über zehn Millionen Euro in Förderhilfen und
Werbekampagnen der heimischen Schuhindustrie. „Aber wir haben unser
Augenmerk bisher fast ausschließlich auf die Märkte im Ausland oder
auf dem Festland gerichtet”, sagt Margalida Coll. Der eigene Markt
auf der Insel wurde weitgehend vernachlässigt. „Und das ist
historisch bedingt”, so die Verbandssprecherin. Denn bislang wurden
auf der Inseln vor allem für andere Regionen Schuhe gemacht. In den
vergangenen Jahrhunderten ging die Lederware nach Südamerika. Mit
dem Verlust der Kolonien entdeckten die Hersteller Frankreich als
Absatzmarkt. Während des spanischen Bürgerkrieges wurde fast jeder
Militärstiefel hier genäht. In den 60er Jahren wiederum boomte,
aufgrund des Devisengefälles, der Absatz in den USA.
Jeder Umbruch ging mit Strukturkrisen einher. Heute beschäftigen
die rund 100 Firmen auf den Balearen 2100 Menschen. 1981 waren es
allein auf Mallorca 198 Firmen und 4500 Mitarbeiter.
Der Verkauf direkt vor Ort ist ein neuer Zuerwerb. In den
vergangenen zehn Jahren haben immer mehr Unternehmen einen
Fabrikverkauf eingerichtet, bei dem gediegene Lederschuhe für Damen
und Herren, aber auch Sportlich-Bequemes sowie Wander– und
Cowboystiefel aus Mallorca angeboten werden. Die vielen Urlauber
wissen den günstigen Einkauf direkt beim Hersteller zu schätzen.
„Es ist ein Mehrwert, den wir damit schaffen”, sagt Margalida Coll.
„Die Schuhe wurden dann nicht nur im Urlaub gekauft, was Erinnerung
schafft, sondern man weiß auch, wo sie gearbeitet wurden.”
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