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Dienstag, 9.05 Uhr. Eine herzige Umarmung, ein Küsschen auf beide Wangen. Arno Meuser wusste bereits, was auf seine Mandantin Sylvia Rüggeberg am letzten Verhandlungstag im sogenannten Mallorca-Mord-Prozess zukommem wird und begrüßte sie dementsprechend mitfühlend. Zu den Plädoyers und zur Urteilsverkündung war der auf Mallorca zugelassene Anwalt erneut nach Wuppertal gejettet und erlebte, dass der Tod der Tochter seiner Mandantin, der 15jährigen Stefanie Rüggeberg am 1. August 2002 in El Arenal, nicht mit einer Strafe wegen Mordes, sondern nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge geahndet werden sollte. Mit neuneinhalb Jahren Freiheitsstrafe statt lebenslänglich.

Als zweiter im Ablauf der Plädoyer–Reihenfolge waren Meuser am frühen Morgen schon die Hände gebunden, da Oberstaatsanwalt Ralf Meyer von seiner eigenen ursprünglichen Anklage abgewichen war. Keine Heimtücke, kein Mord, nur Totschlag.

Zwar schloss sich der spanische Anwalt am Ende dem Antrag des Anklagevertreters an, doch war er eher der Ansicht, Torsten T. habe Steffis Wehrlosigkeit ausgenutzt und sie vorsätzlich getötet. Also Mord. Mit Chloroform. „Der Angeklagte ist gestört in sexueller Hinsicht, er hat sich ein Wunschbild mit blonden jungen Mädchen aufgebaut.” Dann habe er Drogen verabreicht. Schließlich das Chloroform. „Es war kalter Vorsatz; er wollte sich von ihr holen, was er will.” Und: „Ich möchte für uns am heutigen Tag darauf hinweisen, dass von diesem Mann nach wie vor eine Gefahr für junge Frauen ausgeht.”

Chloroform war auch das Stichwort für die Verteidigung. Diese ließ kein gutes Haar an den spanischen Medizinern und Ermittlern. Erst bei der zweiten Obduktion in Deutschland waren Spuren des Giftes in Leichenteilen festgestellt worden. Anwalt Benninghoven: „Der Leichnam wurde hier in einem grün verschimmelten Leichentuch angeliefert. Wer will beweisen, dass die Chloroformpartikel nicht post mortal aufgetragen wurden?” Tatsächlich hatte das Gericht Probleme mit der Spurensuche und der Beweislage.

Eine Fülle von Indizien ließe in der Gesamtheit auf die Täterschaft deuten. Doch unterm Strich muss auch der Vorsitzende zugeben: „Das eigentliche Tatgeschehen ist nur teilweise rekonstruierbar.” Wie also genau starb Steffi? Vermutlich wird es nie gänzlich aufgeklärt. Die Verteidigung forderte Freispruch und kündigte direkt nach dem Urteil Revision an.

Die Auffassung der Richter zur eigentlichen Tat indes: „Offenbar war das Mädchen frühzeitig in das gemeinsam bewohnte Appartement zurückgekehrt, habe sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Sie müsse T. dort begegnet sein.” Weitere Spekulationen: „Wir gehen davon aus, er wollte sie betäuben.”

Vorstellbar sei, sie habe ihn wie so oft provoziert. „Es ging ihm wahrscheinlich um die Machtausübung seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Vielleicht auch um sexuelle Handlungen.” Aber es sei ein spontaner Entschluss ohne Tötungsvorsatz gewesen.

Um seine Spuren zu verwischen, habe sich Torsten T. bis zu seiner Abreise direkt nach dem Leichenfund an der Suche nach dem Mädchen beteiligt. Ein Zweifel an der Täterschaft bestünde nicht.

Sylvia Rüggeberg brach nach Verhandlungsschluss förmlich in sich zusammen, weinte hemmungslos in den Armen ihrer Schwester. Nicht aus Genugtuung, nicht wegen eines vermeintlich milden Urteils. Arno Meuser: „Die unfassbare Last von 20 Prozesstagen fällt von ihr ab. Zwar ist sie erleichtert, aber wie es jetzt weitergeht, wissen wir noch nicht.”