Investitionen in Millionenhöhe, satelliten-gestützte
Navigationssysteme, Immobilien-Zukäufe, Kunst im Bahnhof und
Hochzeiten im Zug – bei der Sóller-Bahn reißen die Neuerungen nicht
ab. Allein im vergangenen Jahr hat sich bei der privaten
Aktiengesellschaft F.C. Sóller S.A. so viel getan, wie sich das bei
der fast ein Jahrhundert alten Bimmelbahn kaum denken ließ.
Seit knapp drei Jahren steht die Bahngesellschaft unter der
Leitung einer neuen Betriebsführung und damit quasi unter
Volldampf. Erst im vergangenen Jahr erteilte die Balearen-Regierung
die zweite Betriebsgenehmigung nach 1912 – für weitere 50 Jahre.
„Wir werden mit einer Bahn in die Zukunft fahren”, versichert der
Präsident der Sóller-Bahn, Javier Mayol, „die aussieht wie unsere
jetzige. Und diese wiederum unterscheidet sich kaum von der, die
schon vor knapp 100 Jahren zwischen Palma und Sóller unterwegs
war.”
Dies ist nicht fortschrittsfeindlich, im Gegenteil. Die
Gesellschafter der Sóller-Bahn setzen auf modernste Technik und
absolute Sicherheit beim Betrieb ihrer alten Lokomotiven und
Waggons. Beispiel: Ende 2005 wurde GPS installiert. Ganz gleich, wo
sich die Züge auf der 24 Kilometer langen Strecke befinden, ihr
jeweiliger Standort wird in Echtzeit registriert und dem
Kontrollzentrum gemeldet. Auf diese Weise sollen Fahrfehler
aufgrund menschlichen Versagens oder gar Frontalzusammenstöße (es
gab in 94 Betriebjahren nur einen) ausgeschlossen werden.
Das Satelliten-Navigationssystem im Anschaffungswert von rund
200.000 Euro ist nur ein kleiner Teil des 14 Millionen Euro teuren
Modernisierungsprogramms von 2003, das die Bahngesellschaft
umsetzen will. Sie arbeitet dabei mit Experten der Madrider U-Bahn
zusammen. Erst auf Grundlage dieses Plans war die
Balearen-Regierung bereit gewesen, die 100-Jahre-Konzession, die
Ende 2011 ausgelaufen wäre, zu verlängern.
Dass es überhaupt dazu kam, ist der Hartnäckigkeit der Einwohner
von Sóller zuzuschreiben, „ihre” Bahn zu sanieren. Denn im Jahre
2002 sah die Zukunft des Betriebes nicht rosig aus. Das Unternehmen
war mit 600.000 Euro in die Verlustzone geraten. Sogar von
Stellenabbau war bei den rund 100 Mitarbeitern die Rede. Das neue
Führungsteam, das daraufhin das Steuer übernahm, musste rasch
handeln, um den verblassten Glanz der Privatbahn wieder
aufzupolieren.
Dies gelang zum einen mit dem erwähnten Investitionsprogramm,
zum anderen mit einem Tarifvertrag, der es ermöglichte, das
Personal zu halten. Für viele der Angestellten, die meisten sind
alteingesessene „Sóllerics”, repräsentiert der Arbeitsplatz ein
Stück Familientradition, die sie in dritter und vierter Generation
fortführen.
Doch das Image der Bahn soll nicht nur mit einer Mischung aus
moderner Technik und nostalgischer Romantik aufgewertet werden. Die
Gesellschaft setzt auf einen Erlebnis-Mehrwert in Sachen Kultur,
den sie bei ihren Fahrgästen, fast ausschließlich Touristen,
einfahren will. Bereits im Vorjahr wurde im Bahnhofsgebäude in
Sóller eine Dauerausstellung mit Arbeiten von Joan Miró
eingerichtet; wenige Monate später folgte ein zweiter Schauraum mit
Picasso-Keramiken aus der Pedro-Serra-Sammlung. Die Räume sind für
jedermann kostenlos zugänglich.
Nicht genug mit diesen künstlerischen Ambitionen, brachte die
Bahngesellschaft vor wenigen Wochen zwei Immobilienkäufe in Sóller
unter Dach und Fach, deren Investitionen rund 4'5 Millionen Euro
betragen: Zum einen erwarb die Sóller-Bahn das Jugendstil-Palais
Can Prunera in Sóller. Das Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert gilt
als eines der schönsten Modernismo-Bauwerke der Insel. „Es stand
lange zum Verkauf, und wir Bahn-Aktionäre haben uns gesagt, es darf
nicht sein, dass das Haus in fremde Hände gelangt”, sagt Mayol.
Gemeinsam mit der ebenfalls neugegründeten Stiftung „Fundació
Tren de l'Art” (Zug zur Kunst) sowie dem Rathaus soll Can Prunera
die Räume für ein künftiges Kunstmuseum stellen. „Wir wollen dort
die Arbeiten der 100 besten Künstler des 20. Jahrhunderts
zusammentragen. Mit Picasso und Miró ist der Anfang gemacht”, sagt
Mayol. Die Öffnung des Hauses für Besucher sei nach den derzeitigen
Renovierungsarbeiten für Ende 2007, Anfang 2008 vorgesehen.
Bei der zweiten Immobilie handelt es sich um die ehemalige
Textilfabrik Can Pizà in Sóller. Es ist das letzte Bauwerk, das
noch an die Webereien des Städtchens im Orangental erinnert. Was
mit dem Gebäude im einzelnen passieren soll, ist noch unklar.
Sóller besizt, wenn man so will, den ältesten Bahnhof der Welt.
Denn das Herrenhaus, an dem die Fahrt der aus Palma eintreffenden
Züge endet, wurde bereits im 16. Jahrhundert errichtet, lange bevor
man wusste, was ein Dampfross ist.
Großer Bahnhof im Bahnhof: Im September vergangenen Jahres fand
im Innenhof des Anwesens eine erste Hochzeit statt. Der Bräutigam
war extra mit dem Zug nach Sóller gereist, um dort seiner Braut das
Ja-Wort zu geben. Gemeinsam ging es dann wieder zurück. „Wir haben
dem Standesamt einen Raum im Bahnhof vermietet”, sagt Javier Mayol,
der weitere Hochzeiten in der unmittelbaren Nähe von Loks und
Triebwagen nicht ausschließt.
„Es ist schon mehrfach vorgekommen, dass Hochzeitsgesellschaften
eine ganze Straßenbahn mieteten, um samt musizierendem Orchester
von Sóller in den Hafen und wieder zurück zu fahren”, erzählt der
Bahn-Chef. „Das sind Dinge, die die Kundschaft heutzutage fordert.
Wir sind offen dafür.”
Im vergangenen Jahr wurden die Frequenzen der Straßenbahn zum
Hafen erhöht. Mayol: „Wir wollen die Nutzung der ,tranvía'
ausbauen.” Treffen volle Züge aus Palma ein, solle an der
Umsteigestelle am Sóller-Bahnhof niemand mehr lange warten müssen,
um weiter in den Port und auf das Schiff nach Sa Calobra zu
gelangen.
Nach Mayols Angaben nutzt jedes Jahr eine Million Passagiere –
die meisten von ihnen Touristen – die Sóller-Bahn. Noch vor zehn
Jahren erwarben 80 Prozent der Fahrgäste ihr Ticket über
Reiseveranstalter und Agenturen. Das Verhältnis hat sich komplett
umgekehrt: Heute kaufen 80 Prozent der Fahrgäste ihre Fahrkarten
individuell am Schalter. „Viele von ihnen kennen die Insel und uns.
Die Touristen sind selbständiger als früher.”
Ein Problem der Sóller-Bahn ist, dass die
Modernisierungsarbeiten im Vollbetrieb erfolgen müssen: „Denn eine
Bahn erwirtschaftet nur Umsatz, wenn sie rollt.” Dennoch müsse der
Betrieb wie schon 2005 im November und Dezember rund 60 Tage ruhen,
um diverse Gleisarbeiten ausführen zu können.
Ungeachtet der Zwangspausen hat das neue Bahn-Management das
Unternehmen zurück in die schwarzen Zahlen geführt. „Die Bahn ist
ein Teil von Sóller, ein Teil von uns. Es war uns allen klar: Wir
können nicht zulassen, dass jemand fremdes, etwa ein Konzern, das
Unternehmen saniert oder übernimmt”, sagt Mayol. „Wir selbst waren
es, die eine Lösung herbeiführen mussten." Die Kehrtwende ist da.
Aktieninhaber der Gesellschaft - die Papiere befinden sich fast
ausschliesslich im Besitz von Familien aus Sóller - erhielten seit
2003 jährlich fünf Euro Dividende pro Besitzurkunde. „In diesem
Jahr wird das Ergebnis ähnlich ausfallen", verspricht Mayol, „wenn
nicht sogar ein wenig besser."
Kein Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Noch kein Kommentar vorhanden.