Jessica B., die Deutsche, die im November 2004 auf Mallorca ihr
Kind auf der Toilette gebar und alleine ließ, wartet auf der Insel
auf ihren Prozess wegen versuchter Tötung der Tochter. Jetzt wird
im Nachrichtenmagazin „Spiegel” die spanische Justiz wegen ihres
Vorgehens kritisiert.
Zunächst die Fakten: Jessica B. erlitt in der Nacht zum 22. Mai
2004 in der Toilette des Real Club Náutico in Palma eine
Sturzgeburt. Das Baby ließ sie samt Plazenta und Nabelschnur in der
Kloschüssel. Die heute 27jährige verließ die Kabine und ging in den
nebenan liegenden Waschraum. Zufällig kam eine Frau in die
Toilette, die das Neugeborene entdeckte und per Notruf Hilfe
holte.
Die Mutter sagte nicht, dass es sich um ihr Kind handelt, auch
dann nicht, als die Polizei ihre Personalien aufnahm. Erst am
nächsten Morgen gab die junge Frau bei der Vernehmung auf der Wache
zu, die Mutter des Mädchens zu sein. Daraufhin wurde sie in Haft
genommen. Der Staatsanwalt wirft ihr versuchte Kindstötung vor und
fordert acht Jahre Gefängnis.
Gegenüber dem „Spiegel” beklagt der von der Familie
eingeschaltete CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler das Verhalten
der hiesigen Justiz. Zwar wurde der Haftbefehl auf Antrag des
Anwalts der Beschuldigten nach 18 Tagen gegen strenge Auflagen
ausgesetzt, doch bis zum Beginn der Verhandlung im September darf
sie das Land nicht verlassen.
Laut „Spiegel” befürchtet Gehler, „dass die mallorquinische
Justiz mit dem Prozess gegen die Deutsche ,ein Exempel statuieren
will'. Ihr Fall werde ,wie die Trinkgelage am Ballermann zu den
unerwünschten Formen des Tourismus gezählt'.” Diese Interpretation
halten von MM befragte Rechtsanwälte in Palma für
„hochgradigen Schwachsinn”. Welches Land wünsche schon Urlauber,
die Kinder auf der Toilette gebären und sie dann ihrem Schicksal
überlassen.
Thorsten Meinzer von der Palmesaner Societät Balance, der
Verteidiger von Jessica B., ist der Auffassung, dass die Justiz
nicht unbedingt mit besonderer Härte oder willkürlich gegen seine
Mandantin vorgehe, wie in dem Nachrichtenmagazin angedeutet wird.
„So würden sie wohl auch mit jedem spanischen Beschuldigten
verfahren”, sagt er gegenüber dieser Zeitung.
Der deutsche Jurist kritisiert vielmehr, dass die
mallorquinischen Behörden auf die besonderen Umstände dieses Falls
und der Beschuldigten nicht eingehen würden. So hält er die
Kautionssumme von 100.000 Euro für ausgesprochen hoch. Freunde und
Verwandte von Jessica B. hätten diese Summe nur mit viel Mühe
auftreiben können.
Die Frau darf Spanien nicht verlassen und muss sich wöchentlich
bei der Polizei melden. Das sorge für hohe Kosten für die
Unterkunft und für die Besuche ihrer Familie; so reist der
Kindsvater so oft wie möglich an.
Laut Meinzer könne seine Mandantin der Meldepflicht auch in
Deutschland nachkommen. Zum Prozess würde sie dann erscheinen. Seit
23. August 2004 ist in Deutschland das Europäische Haftbefehlgesetz
in Kraft, wonach Bundesbürger, anders als früher, ausgeliefert
werden können.
In Artikel 16.2 GG heißt es: „Kein Deutscher darf an das Ausland
ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung
für Auslieferungen an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union
(...) getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt
sind.”
In der Heimat könnte Jessica B., die nach seinen Angaben eine
ausgesprochene glückliche Mutter ist und die laut „Spiegel” mit
Tochter Maria spielt und sie zum Lachen bringt, einer Arbeit
nachgehen. Hier habe sie niemanden, der sich um Maria kümmert,
außerdem hat man ihren Führerschein eingezogen. In der aktuellen
Lage laufe die Familie Gefahr, finanziell ruiniert zu werden.
Erschwert würde die Situation noch durch die lange Wartezeit bis
zur Verhandlung. Zwischen der Geburt und dem angesetzten Termin
liegen 15 Monate.
Von der Unschuld seiner Mandantin ist Meinzer überzeugt:
„Jessica B. hatte keinerlei Tötungsabsicht. Ihr Verhalten nach der
Geburt zeigt deutlich, dass sie kein Verbrechen plante, sondern
dass sie unter Schock stand.” Das würde auch durch Gutachten
belegt.
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