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Was haben Mallorca und Zwickau gemein? Den Pommespreis bei McDonalds, 1'50 Euro für die große Portion. Seit der Einführung des Euro im Januar schauen die Deutschen genauer aufs Geld. Und das wohl aus gutem Grund. Denn nach weitverbreiteter Meinung hat sich seit Beginn des Jahres nur das Währungszeichen geändert, an die Stelle der Mark trat schlicht das Eurozeichen, die Zahl davor blieb unverändert. Zumindest wollen das einige so wahrgenommen haben.

Aber wie verhält es sich im Fall Mallorcas? In manch einer deutschen Zeitungsredaktion ist man bereits zu einem eindeutigen Schluss gelangt: Mallorca ist überteuert, so vor kurzem der Tenor der Bild-Zeitung. Auch in anderen Blättern wird, wenn auch gedämpfter, gerne auf des deutschen liebste Insel eingeschlagen. Doch tun sie ihr nicht Unrecht? Geht es Mallorca denn nicht anders als den meisten anderen Eurozonen? Hat sich hier teils berechtigte Kritik nicht zu einer Massenhysterie hochgeschaukelt? Oder haben die Kritiker doch Recht wenn sie behaupten, hier sei in den letzten Jahren, insbesondere aber nach Einführung des Euro, vielen Händlern der Sinn für die Realität abhanden gekommen?

Fakt ist, dass wirklich vieles teurer geworden ist, von Lebensmitteln bis hin zu Immobilien. Und dass sich die Preissteigerungen oftmals in keinem vernünfigen Rahmen mehr bewegen, wird selbst von offizieller Seite bestätigt. Antoni Monserrat Moll, Generaldirektor im balearischen Wirtschaftsministerium, stellte bereits eine „oft absolut unangemessene Preiserhöhung bei der Umstellung zum Euro” fest. Er bestreitet auch nicht, dass die Insel sich in den letzten Jahren generell verteuert hat, für deren Bewohner als auch für die Touristen.

Ablesen kann man das beispielsweise an der Teuerungsrate: Seit Jahren liegt die balearische Inflationsrate über dem Landesdurchschnitt, zuletzt 2001 mit 4'0 Prozent gegenüber 3'6 Prozent. Allerdings deuten die neuesten Zahlen vom April 2002 auf eine umgekehrte Tendenz hin. Während Gesamtspanien einen Preisanstieg von 1'4 Prozent gegenüber dem Vormonat aufweist, hielten sich in diesem Zeitraum die Lebenshaltungskosten auf den Balearen ungewöhnlich ruhig und stiegen um lediglich 1'0 Prozent.

Monserrat Moll hegt denn auch die Hoffnung, dass sich „ab Anfang 2003 die Preise stabilisieren werden”, Folge der sich derzeit abschwächenden Konjunktur. Der Tourismus- und Bauboom der vergangenen Jahre sei der Grund für ein ausgeprägtes Konsumverhalten der Menschen gewesen. Ob nun bei nachlassender Wirtschaftskraft neben dem Konsum mittelfristig auch die Verbraucherpreise zurückgehen werden? „Wohl kaum, da der Konsum sich auf einem hohen Niveau halten wird”, wischt der Ökonom diese Logik vom Tisch.

Ein besonders krasses Beispiel der Verteuerung ist auf dem Immobilienmarkt zu beobachten. Während laut Erhebungen des spanischen Bauministeriums ein Quadratmeter Wohnfläche auf den Balearen im ersten Quartal 1998 noch 691 Euro kostete, musste der Häuslebauer in den letzten drei Monaten des Vorjahres bereits 1.455 Euro hinlegen – ein Anstieg um stolze 110 Prozent.

Im gleichen Zeitraum stieg der landesweite Durchschnittswert um 58 Prozent, von 694 Euro auf 1.096 Euro. Monserrat Moll sieht hierfür hauptsächlich drei Gründe: die Bereitschaft der Kunden, den hohen Preis zu bezahlen; der massive Zuzug von ausländischem Kapital; und Schwarzgeld, das im Zuge der Euro-Umstellung noch unters Volk gebracht werden musste.

Die Kostenexplosion in diesem Sektor birgt allerdings sozialen Sprengstoff. Nach einer Studie des gleichen Ministeriums geben Familien auf dem Archipel durchschnittlich 64'38 Prozent ihres Bruttoeinkommens für das Wohnen aus. So viel wie in keiner anderen Region Spaniens. In dieses Bild passt die Aussage des Direktors des balearischen Statistikinstituts, Mauricio Beltrán, wonach hier der Prozentsatz der Familien, die Probleme haben, jeden Monat finanziell über die Runden zu kommen, besonders groß ist.

Aber nicht nur Wohnraum ist teurer geworden, wobei anzumerken ist, dass im April die Teuerungsrate seit langem erstmals wieder leicht rückläufig (-0'1 Prozent) war. Tiefer in die Tasche müssen Verbraucher vor allem für Tabak und Alkohol (+7 Prozent im April im Vergleich zu Vorjahresmonat), Restaurants und Bars (+6'8 Prozent), Kleidung und Schuhe (+5'8 Prozent) und Lebensmittel (+5 Prozent) greifen. In Restspanien verhält es sich allerdings ähnlich, nur dass das durchschnittliche Preisniveau allgemein unter dem der Balearen liegt. In lediglich drei Regionen Spaniens ist das Leben noch teurer: in Madrid, im Baskenland und in Katalonien.

Beim Anstieg der Gehälter hinken die Balearen allerdings hinterher. Nur 4'6 Prozent mehr als vor fünf Jahren verdiente 2001 ein balearischer Durchschnittsverdiener. Landesweit stiegen die Einkommen immerhin um 8'9 Prozent an. Stellt man die 4'6 Prozent mehr Lohn der entsprechenden Preissteigerung von 12'5 Prozent gegenüber, schneidet der Durchschnittsverbraucher schlecht ab. „Die Einkommen steigen erheblich langsamer als die Inflationsrate”, erkennt auch Monserrat Moll.

Welche Rolle spielt beim allgemeinen Preisanstieg nun der Euro? Fest steht, darin sind sich Generaldirektor Monserrat Moll und Statistikdirektor Beltrán einig, dass bei der Umstellung teilweise Missbrauch betrieben wurde. Monserrat Moll verlässt sich dabei auf die selbstregulierenden Mechanismen des Marktes, auch wenn es „Jahre dauern wird, bis die Nachfrage die Preise wieder korrigiert”.

Die Umstellung auf Euro hat nach Ansicht von Monserrat Moll eine wichtige psychologische Komponente. „Früher waren 100 Pesetas (0'6 Euro) die mentale Maßeinheit.” In der Bar gab es dafür oft noch die Tasse Kaffee, ganze Läden („Todo a Cien”) waren voll mit Artikeln für 100 Pesetas. Das habe sich mit dem Euro geändert, die psychologische Messlatte liege jetzt bei einem Euro, so Monserrat Moll. Ein Euro sei nun das Maß aller Dinge. Und das sind immerhin 40 Prozent mehr, was sich vor allem bei kleinen Besorgungen und Beträgen summiere.

Ein anderes zu beobachtendes Verhaltensphänomen ist der sogenannte „Demonstrations-Effekt”. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein Leben über den eigenen finanziellen Möglichkeiten. „Menschen, die es sich eigentlich nicht leisten können, kopieren hier den gehobenen Lebensstil, den die Gutverdienenden Mallorcas zur Schau stellen”, so Monserrat Moll. Wo dies hinführt, weiß Xavier Grimal nur zu gut. „Immer mehr Kunden nehmen Kredite auf, und die Zahl derer, die irgendwann nicht mehr in der Lage sind, diese zurückzuzahlen, wächst beständig”, berichtet der Mitarbeiter des Wirtschaftforschungszentrums der Sparkasse „Sa Nostra”.

Von einer Erwartungshaltung, die die Menschen zu bestätigen suchen, spricht María Antonia Manasero. „Jeder hat seine vorgefertigte Meinung, dass nun alles teurer sein müsse”, erklärt die Sozialpsychologin an der Universität der Balearen (UIB), und damit „sucht man unbewusst nach Bestätigung dieser Annahme”. Dazu kommt, dass man sich mit Nachbarn und Freunden austauscht und jeder in das Klagelied der Preiserhöhungen einstimmt. Wird ein Artikel entdeckt, der nicht in dieses Schema passt, also preislich unverändert blieb, „stempelt dies der Verbraucher automatisch als Ausnahme ab”, sagt Manasero.

Ähnlich sieht es Diplom-Psychologe Rainer Franke. „Die Kunden sehen den einen oder anderen Artikel teurer und fangen an, die Preise zu vergleichen”. Da diese nach Ansicht von Franke tatsächlich gestiegen sind („Das ist Fakt”), summieren sich die Beobachtungen der Kunden zu einem festen Bild, wobei die Menschen oftmals ihre Meinung bestätigt sehen.

Soviel zu nackten Zahlen und Verbraucherpsychologie. Doch wie sieht es nun tatsächlich aus im mallorquinischen Kosumdschungel? Muss der Gürtel wirklich enger geschnallt werden? Die Antwort ist ein klares Jein. Wie wohl überall auf der Welt kommt es darauf an, wo man sich sein Bier bestellt, den Deo-Roller kauft und sein Auto mietet. Das ist auf Mallorca nicht anders als in Deutschland. Wer sich den Nescafe im sonnenschirmbestückten Supermarkt am Strand kauft, zahlt bedeutend mehr als in Wohngebieten (4'60 gegenüber 2'98 Euro).

Wer auf Butter von deutschen Kühen besteht, muss dafür fast das Doppelte hinlegen wie für ein spanisches Produkt. Generell gilt, dass typisch deutsche Waren wie Bärenmarke, Kölln-Flocken und Tempo-Taschentücher, die es übrigens in spanischen Supermärkten kaum gibt, ihren Preis haben. Dafür gibt es spanische Alternativen, die in der Regel nicht schlechter sind, nur billiger.

Große Preisunterschiede lassen sich auch in Restaurants und Bars beobachten, wobei hier nicht immer die Faustregel gilt, dass es in Strandnähe automatisch teurer ist. Etliche Gastronomen sind sogar mit ihren Preisen runtergegangen, wie etwa Bernd Nieswand mit seinem Restaurant „Richtig” in Playa de Palma. Dort gibt es das Mittagsmenü nun für 5'91 Euro anstatt wie bisher für 7'21 Euro. „Die Leute schauen einfach mehr aufs Geld”, begründet er seine Entscheidung.

Freilich sind Gastronomen wie er die Ausnahme. Vor allem in Palma und in gehobenen Restaurants auf der ganzen Insel haben die Preise erheblich angezogen. Und die Menschen ziehen daraus ihre Konsequenzen: „Öfter selber kochen ist nun angesagt”, so Markus Schulze-Erdel, der regelmäßig zwischen Deutschland und seinem Wohnort Sa Ràpita pendelt.

Auch gibt es immer noch Produkte und Dienstleistungen, die günstiger sind als in Deutschland, trotz Anhebung der Preise. Der Liter Normalbenzin ist hier für etwa 0'85 Euro zu haben, in Deutschland liegt der Literpreis bei rund 1'04 Euro. Wer sich auf der Insel ein wenig umsieht, bevor er einen Opel Corsa mietet, bekommt den Wagen fast um die Hälfte des Geldes. Bei „Topcar” in Sa Coma ist er für 25 Euro pro Tag zu haben, bei Sixt in Deutschland schlägt der Corsa mit 42 Euro zu Buche.

Allerdings gibt es auch in dieser Branche Negativbeispiele. Die Firma „National” hat Anfang des Jahres die Mietpreise für bis zu drei Tage einfach verdoppelt. Von Preiserhöhungen ausgespart blieben dagegen die Wochentarife. „Die lohnen sich wesentlich mehr als kurzfristige Vermietungen”, gibt Geschäftsführerin Emma Gallego offen zu.

Wer kein Auto mieten möchte und verstärkt auf das Taxi zurückgreift, zahlt unter Umständen drauf, bleibt aber immer noch unter den Ausgaben, die er nach einer Fahrt mit einer deutschen Droschke hätte. Besteht bei der Grundgebühr zwischen Mallorca und Städten wie Fürth, München und Kassel noch wenig Unterschied (1'80 Euro gegenüber 2'50 Euro, 2'60 Euro und 1'50 Euro), so spürt der Fahrgast mit jedem zurückgelegten Kilometer auf Mallorca die deutlich niedrigeren Preise: 0'40 Euro der Kilometer hier, zwischen 1'15 und 1'60 Euro der Kilometer in dort.

So verschieden die Preise auf der Insel sind, so differenziert sind auch die Meinungen der befragten Deutschen, ob Urlauber oder Resident. Susanne Cerdá, seit vielen Jahren auf der Insel selbständig, hält die öffentliche Debatte „für allgemein leicht übertrieben”. Auch Urlauber Jan Kassens aus Düsseldorf hatte es sich schlimmer vorgestellt: „Für drei Bananen und drei Orangen habe ich gerade 2'90 Euro bezahlt, das wäre zu Hause nicht billiger, wahrscheinlich eher teurer.”

Die Mehrheit der Befragten hält die Preissituation allerdings für wenig befriedigend. Bringt man deren Meinung auf einen Nenner, hat sich die Insel in den letzten Jahren tatsächlich in fast jeder Hinsicht verteuert. Daher machen sich jetzt immer mehr Menschen die Mühe, Preise beim Einkauf zu vergleichen und sich beim Ausgehen einzuschränken. Fazit ist, dass Mallorca – wie auch Deutschland – mit der Einführung des Euro noch ein ganzes Stück teurer wurde. Mit Verallgemeinerungen sollte aber vorsichtig umgegangen werden. Die preislichen Schwankungen auf der Insel sind oft immens, wer daher weiß, wo was günstig zu bekommen ist, schont seine Haushaltskasse.

Dass deutsche Produkte preislich über den einheimischen liegen, sollte niemanden verwundern. Auch die Vorstellung, dass das Leben in Spanien immer noch ein wenig günstiger sei als in Deutschland, stimmt nur bedingt: Zweifelsohne ist es immer noch einfach, in Murcia für zehn Euro satt zu werden und dabei auch noch gut gegessen zu haben. Mallorca gehört jedoch seit langem in eine gänzlich andere Preiskategorie. Bewusst wurde es vielen vielleicht erst durch den Euro, der Europa von heute auf morgen preisliche Transparenz verlieh.