Krise. Mit diesem Wort lässt sich die Lage der Unternehmen
beschreiben, die in den vergangenen Jahren auf den Zug des
Mallorca-Booms aufgesprungen sind, sich auf deutsche Kundschaft
spezialisiert haben und nun in schlechteren Zeiten den Anschluss
verlieren.
Die Immobilienbranche, einst Wachstumsmotor Nummer eins auf den
Balearen, ist plötzlich als Konjunkturbremse ganz vorne. Nach
Angaben des balearischen Verbandes der Bauträgergesellschaften sind
Verkäufe an deutsche Kunden um etwa 40 Prozent zurückgegangen. Vor
allem im Süden und Osten der Insel ist der Rückgang zu
verspüren.
„Bei den Preisen, die Wohneigentum auf Mallorca mittlerweile
kostet, kein Wunder”, findet Rechtsanwalt Hans von Rotenhan,
gebürtiger Deutscher mit spanischem Pass. In der jüngsten
Vergangenheit waren Preissteigerungen von 20 Prozent die Regel,
„jetzt kosten Immobilien so viel, dass Investitionen für Ausländer
kaum von Interesse sind”, erklärt der deutsche Konsul auf Mallorca,
Peter Christian Haucke, der in seinem beruflichen Alltag viel mit
deutschen Investoren zu tun hat.
Der Diplomat stellt vor allem ein gravierendes Nachfrage-Minus
bei den Immobilien im mittleren Preissegment von etwa 250.000 bis
300.000 Euro fest. „Es ist nicht mehr so viel Geld da”, begründet
er die Zurückhaltung, „nach dem Kursrutsch an den Börsen haben
viele Menschen eine Menge verloren”, sekundiert Jurist
Rotenhan.
In der unübersichtlichen Baupolitik der Balearen-Regierung, in
der ein Moratorium das andere jagt und für Häuslebauer und
Bauträger zumindest subjektiv keine Planungssicherheit besteht,
sieht Haucke einen weiteren wichtigen Grund für die gegenwärtig
schlechte Lage. Die Einführung des Euro hat indirekt einen
wichtigen Effekt auf die Baubranche: Vor der Ausgabe des neuen
Bargeldes brachten viele ihr altes Schwarzgeld auf Mallorca unter,
vorzugsweise in Immobilien. Das hat sich jetzt erledigt – der einst
wegen der Währungsumstellung künstlich aufgebauschte Boom hat sich
jetzt in einen ebenso künstlich verschlimmerten Niedergang
verwandelt.
Jetzt, so Hauckes Beobachtung, werden keine neuen Bauprojekte
mehr begonnen, lediglich bereits existierende Baustellen
abgeschlossen. Was sich bereits mit höheren Arbeitslosenzahlen in
der Baubranche niederschlägt, hat auch immer stärkere Auswirkungen
auf damit mehr oder weniger direkt verbundene Branchen. „Vor allem
Unternehmen, die sich ausschließlich auf deutsche Kundschaft
konzentriert haben, haben jetzt ein Problem”, so die
Unternehmensberaterin Ursula Müller-Breitkreutz aus Palma. Seien es
Handwerker, Makler (oft mit dem Büro – sprich Handy – in der
Hosentasche), Innenaustatter, Möbelverkaufer, Gärtner oder
Satellitenschüsselaufsteller.
Dazu kommt, dass die deutschen Residenten auf Mallorca immer
weniger bereit sind, die häufig höheren Preise für deutsche
Dienstleister zu zahlen. „Die, die auf ihr Geld achten müssen”,
sagt Konsul Haucke, „vergleichen und stellen fest, das spanische
Angebote oft günstiger sind.”
Oft kommt es seiner Meinung nach außerdem vor, dass deutschen
Handwerkern, Maklern oder Gastronomen, die in Zeiten des Booms auf
die Insel kamen, um sich eine neue Existenz aufzubauen, jetzt, wo
die Kundendecke dünn wird, finanziell die Luft ausgeht. „Während
alteingesessene mallorquinische Betriebe über Eigentum verfügen,
dass sie zur Not beleihen können, um eine Durststrecke zu
überstehen”, so Rotenhan, „stehen die deutschen Neuankömmlinge in
der jetzt schlechten Wirtschaftlage schnell ohne Kapital da” – und
müssen die Segel streichen.
Das tun sie nach Rotenhans Erfahrung nicht selten, indem sie
ihre Schuldner sitzen lassen und einfach abreisen. Rotenhan: „Ein
Grund dafür, dass deutsche Handwerker bei Mallorquinern kein gutes
Image haben.” Die zunehmend schlechte Zahlungsmoral unter klammen
Alemanes macht denn auch Selbständigen und Unternehmen zu schaffen,
deren Auftragsbücher noch voll genug sind. Wer kein Polster hat,
bricht schnell zusammen.
Eingebrochen ist auch der Tourismus. Mallorcas Urlaubsorte im
Winter 2001/02 gleichen Geisterstädten. Die Zahl der deutschen
Touristen ist nach Angaben von Antonio Munar, Geschäftsführer des
mallorquinischen Hotelverbandes FEHM, „spektakulär gefallen”.
Während der deutsche Markt schon das ganze Jahr über einen Rückgang
von etwa vier Prozent zu verzeichnen hatte, wollte nach den
Terrorattacken vom 11. September gar keiner mehr Ferien buchen.
„Obwohl zehn Prozent weniger Hotels geöffnet haben, ist die
Auslastung um drei bis vier Punkte gesunken”, klagt Munar. Dei
Bilanz für 2002: Am Flughafen wurden insgesamt 6.553.669 Millionen
Deutsche abgefertigt, 467.332 weniger als ein Jahr vorher.
Die TUI, Deutschlands größer Reiseveranstalter, gibt ein
Mallorca-Minus im „zweistelligen Prozentbereich” an. Mario Köpers,
Kommunikationsdirektor des Reiseriesen, begründet das mit der
allgemein schlechten Wirtschaftslage in Deutschland, dem schlechten
Wetter auf Mallorca, das per Sturm-Katastrophe über die deutschen
Medien verbreitet wurde, und den zu hohen Preisen der Hotels.
Anlass zur Sorge geben ihm vor allem die Buchungen: Im Januar
und Februar erwartet er einen Rückgang von 30 Prozent. Das ist ein
Riesen-Problem für Hoteliers, Reiseveranstalter und Airlines – und
für die Geschäfte und Gaststätten, die vor Ort von den Urlaubern
leben. Allerorten heißt es jetzt: Zähne zusammenbeißen und auf
einen besseren Sommer warten.
Während ungewiss ist, ob sich der Bausektor je wieder erholt –
und nicht wenige finden, dass er das im Sinne des
Landschaftsschutzes auch gar nicht sollte, sind sich alle
Touristiker einig, dass es in der Ferienindustrie bald wieder
besser wird. TUI-Mann Köpers ist sicher: „Die Trendwende kommt
noch, dann wird massiv gebucht.” Wie Munar erwartet er eine
Fortsetzung des Trends zum späten Buchen, der durch die
Unsicherheit der Konsumenten nach dem 11. September deutlich
verstärkt worden ist. Fragt sich nur, wann. Munar ist
pessimistisch: „Die Urlauber kommen erst nach dem Juni, wenn die WM
vorbei ist. Fußball gucken sie lieber zu Hause, da ist die Weltlage
eine gute Entschuldigung, nicht zu verreisen.” Und Köpers weiß:
„Keine Frage, es wird ein hartes Jahr.”
Wie hart, das fragen sich auch die Wirtschaftsexperten der
mallorquinischen Handelskammer. Ihre Wachstumsprognose für 2002
beläuft sich auf 2'1 Prozent. Damit läge der Archipel erstmals seit
vielen Jahren unter der Wachstumsrate Spaniens, die auf 2'3 Prozent
geschätzt wird. Aber das sind im Vergleich zu der Europäischen
Union, deren Wachstumsprognose sich auf 1'3 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes beläuft, oder Deutschland, wo das
Rheinland-Westfälische Wirtschaftsinstitut lediglich ein Plus von
mageren 0'8 Prozent prognostiziert, noch solide Werte.
Auch die Arbeitsmarktdaten geben keinen Anlass, von einer
allgemeinen „deutschen” Krise zu sprechen. Antoni Montserrat,
Staatssekretär im balearischen Wirtschaftsministerium, berichtet
von einer Steigerung der deutschen Selbständigen und Angestellten
auf den Balearen: „Von Dezember 2000 bis 2001 stieg ihre Zahl von
5889 auf 6102, ein Plus von 3'6 Prozent.”
Ursula Müller-Breitkreutz spricht deswegen auch nicht von einem
Einbruch der mallorquinischen Wirtschaft, sondern von einer
„Normalisierung und Konsolidierung” nach einer Phase des
überhitzten Wachstums. Fazit der auf Mallorca ansässigen
Unternehmensberaterin: „So schwer die Zeiten für deutsche oder auf
deutsche Konsumenten ausgerichtete Unternehmen auch sein mögen –
jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen. Und das hat auch sein
Gutes.”
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