MM: Wie haben die Menschen in Ihren Augen auf den Terror
reagiert?
Kramer: Gerade in Einzelgesprächen zeigen sich die Sorgen und
Befürchtungen der Menschen. Aber es war nicht so, dass mich etwa
nachts von Panik erfüllte Menschen angerufen hätten. In den Wochen
vor dem Rückschlag war die drängendste Sorge: „Was wird jetzt
sein?” Ich registriere aber sehr oft auch Zustimmung, dass die USA
sich wehren müssen. Nach den erfolgten Angriffen auf Afghanistan
hoffen viele auf ein baldiges Ende der kriegerischen
Auseinandersetzung sowie auf eine politisch-diplomatische Lösung
auf dem Weg der Humanität.
MM: Sie haben ja nicht nur mit Residenten, sondern auch mit
Touristen Kontakt. Welchen Eindruck haben Sie da?
Kramer: Es kommt vor, dass mir Menschen erzählen, sie seien
aufgrund der Ereignisse von Ihrer Urlaubsplanung abgerückt. Statt
zu Fernzielen reisten sie nach Mallorca, weil das nicht so weit weg
von zu Hause liege. Mallorca scheint etwas Sicheres zu sein.
MM: Wie beurteilen Sie die Entwicklung aus kirchlicher
Sicht?
Kramer: Ich frage mich oft, in welchen Ängsten leben wir jetzt?!
Gleichzeitig vertraue ich darauf, dass wenn wir schon auf das Gebet
bauen und Zuflucht nehmen zu einer anderen Allmacht, ein
friedlicher Weg zu finden ist. Die Kirche hat ja von ihrem
christlichen Verständnis her die Einstellung, den „unteren” Weg zu
gehen, also etwa kein sofortiger Gegenschlag. Gerechtigkeit wird
gefordert. Aber im Sinne der Bergpredigt heißt es auch: „Liebet
Eure Feinde”.
MM: Seit Ihrer offiziellen Einführung auf Mallorca an
Pfingsten sind knapp fünf Monate vergangen. Wie bewerten Sie diese
Zeit?
Kramer: Was mich am meisten überrascht hat, ist, in welche Unruhe
ich hineingeraten bin. Ich war zuletzt als Seelsorger in einem
Krankenhaus tätig. Bevor ich auf die Insel kam, dachte ich, meine
Arbeit wird vor allem durch Gottesdienste und Beratungsgespräche
bestimmt sein.
MM: Dem ist nun nicht so?
Kramer: Doch, aber die Insel hat ihre Größe. Und die Standbeine
sind katholischerseits sehr dünn, wie ich feststellen musste. Ich
hielt Mallorca zunächst für einen zwar großen Acker, der jedoch zu
bearbeiten ist. Das übersteigt aber die Kraft eines Einzelnen.
MM: Wie gestaltete sich Ihre bisherige Arbeit?
Kramer: Bedingt durch die Sommermonate habe ich bislang
hauptsächlich mit Touristen zu tun gehabt. Wenn ich an der Playa de
Palma von meiner Wohnung die zehn Minuten zum Katholischen Zentrum
laufe, ergeben sich auf der Straße immer zwei bis drei Gespräche
mit deutschsprachigen Urlaubern. Die meisten wissen gar nicht, dass
es uns hier gibt. Da können wir noch viel tun.
MM: Was meinen Sie damit konkret?
Kramer: Ich habe etwa die Reiseveranstalter gebeten, ihre Kunden
stärker auf die kirchlichen Angebote auf der Insel aufmerksam zu
machen. Daneben habe ich in einer ersten Auflage 5000 Faltblättchen
mit Informationen zu den Gottesdiensten drucken lassen, die nun in
Hotels sowie Touristenbüros ausliegen.
MM: Ist noch mehr angedacht?
Kramer: Also, ich bin noch auf der Suche nach einer Firma, die
Hinweisschilder aus Leuchtröhren herstellt. Die Leuchtreklamen an
der Playa de Palma haben mich auf die Idee gebracht. Unser
Gemeindezentrum Sankt Michael könnte etwas mehr Leuchtkraft gut
gebrauchen. Daneben schwebt mir so eine Art Kontakt-Café vor, wo
man sich in Ruhe austauschen könnte. Aber das ist noch
Zukunftsmusik.
MM: Apropos Playa de Palma. Wie erleben Sie das Treiben in
der berüchtigten Ballermann-Zone?
Kramer: Eigentlich ist es schon erschreckend. Vor allem, wenn ich
die ganz jungen Leute, so 16 aufwärts, sehe. Mit einem doch sehr
starken Alkoholkonsum, schon am Nachmittag. Menschen, mit keinen
anderen Interessen als, wie man so platt sagt, die Sau
herauszulassen.
MM: Wie erklären Sie sich das?
Kramer: Das ist ein Zeichen großer Perspektivlosigkeit. Die Leute
scheinen in ganz anderen Wertvorstellungen zu leben. Ich bedauere
sehr diesen Exzess, diese Würdelosigkeit. Die Menschen tun mir
leid.
MM: Sie suchen die „Ballermänner” selbst auf?
Kramer: Ja, ich trinke dort auch schon einmal ein Bier und spreche
die Leute an. Dann gibt es einen großen Überraschungseffekt. „Was?!
Ein katholischer Pfarrer?! Hier?!”, heißt es oft. Aber
tiefergehende Gespräche sind kaum möglich.
MM: Übermäßiger Alkoholkonsum ist nicht die einzige Klage an
der Playa de Palma.
Kramer: Nein. Zu später Stunde kommt hinzu, was ich nicht
miterlebe: Prostitution, Gewalt, Kriminalität, Hütchenspiele. Ich
finde das erschreckend, bin aber auch ratlos. Was soll man da
machen?
MM: Wie gestaltet sich das Verhältnis zu den
Residenten?
Kramer: Zu ihnen gibt es gute Kontaktmöglichkeiten etwa über die
Hochzeiten. Bei der letzten Trauung konnte ich gleich drei
„Nachbestellungen” verbuchen. Überhaupt verstehe ich meine Arbeit
als Seelsorge, die auf die Menschen zugeht. Es soll nicht nach dem
Motto funktionieren: „Ich bin hier. Ihr könnt ja kommen.”
MM: Hochzeiten, das ist die positive Seite. Doch wie steht es
um die zunehmende Zahl an deutschen Obdachlosen und sonstigen
Sozialfällen?
Kramer: Es kommt vor, dass jemand an der Tür des Pfarrers klingelt
und sagt, „Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr gegessen.” Da ist
dann zunächst alles andere nicht mehr von Interesse. Auf das
anschließende Angebot, in einem tiefergehenden Gespräch nach
Lösungen zu suchen, erhalte ich aber meist keine Resonanz.
Umfassende Hilfe ist jedoch nur mit entsprechenden Mitarbeitern
möglich.
MM: Wie schätzen Sie den Bedarf ein?
Kramer: Ehrenamtliche Mitarbeit ist bitter nötig, insbesondere für
eine bessere Betreuung der so genannten „vereinsamten Alten”. Aber
hier habe ich noch keinen Aufhänger gefunden, wie man das Problem
inselweit wirkungsvoll angehen könnte.
MM: Gibt es schon Interessenten, die ihre Mitarbeit
anbieten?
Kramer: Die Türen sind mir bislang nicht eingerannt worden.
Allerdings steht eine kirchliche Fachkraft in Aussicht: Im Oktober
kommt eine junge Frau, die im Raum Luxemburg auf Campingplätzen als
Urlauberseelsorgerin sowie als Familienberaterin tätig ist. Sie
bleibt sechs Monate auf Mallorca.
MM: Ihrem Vorgänger Nicolas Bosshard war nach Unstimmigkeiten
in der Gemeinde der Arbeitsvertrag nicht verlängert worden. Kommen
Sie besser an?
Kramer: Also, dazu kann ich gar nichts sagen. Viele Residenten
kennen mich noch nicht, die Versammlungen beginnen erst jetzt zur
Wintersaison. Ich habe noch keine große Rückmeldungen, doch oft
heißt es: „Wir sind froh, dass Sie hier sind!”
MM: Welchen Einfluss hat die Insellage auf ihr
Privatleben?
Kramer: Ich wohne ganz nah am Strand und nutze das Meer, um mich
fit zu halten. Auch heute war ich lange schwimmen. Ob ich das den
ganzen Winter durchhalte, weiß ich nicht, aber noch bin ich
dabei.
MM: Sie sind jetzt 66 Jahre alt. Denkt man da schon an den
Ruhestand?
Kramer: Im Prinzip gibt es für einen Seelsorger kaum eine
Begrenzung. Von der Kirchenleitung aus sollen Pfarrer bis zum 70.
Lebensjahr arbeiten. Wer will, kann bis 75 weitermachen. Bis dahin
ist es, so Gott will, noch ein Weilchen hin.
Mit Pfarrer Msgr. Robert Kramer sprachen Bernd Jogalla und
Alexander Sepasgosarian.
ZUR PERSON:
Pfarrer Robert Kramer ist seit Pfingsten das katholische Oberhaupt
der deutschsprachigen Kirchengemeinde auf Mallorca. Der gelernte
Dekorateur aus dem Rheinland erhielt 1967 die Priesterweihe. Später
war der Monsignore, so der offzielle Kirchentitel des Pfarrers,
neun Jahre lang als Kaplan in Köln tätig. Nahezu ein Jahrzent
leitete der Geistliche zudem die katholische Hochschulgemeinde der
Universität Bonn.
Auslandserfahrungen sammelte Robert Kramer als Urlaubsvertretung
in deutschsprachigen Gemeinden in Portugal und Ekuador. Auf einem
Kreuzfahrtschiff war der Priester zudem kurze Zeit in der
Urlauberseelsorge aktiv. Mit dem Hirtenamt auf Mallorca ist für
Kramer ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Von Anbeginn
seiner Laufbahn an hatte er stets seine Bereitschaft zum Dienst im
Ausland signalisiert.
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