Krimifreunde kennen Joe Bausch vor allem als Gerichtsmediziner im Kölner "Tatort" . Doch das Böse beschäftigt den 64-Jährigen auch im richtigen Leben. Er ist Gefängnisarzt in Werl , wo die ganz harten Jungs einsitzen. MM sprach mit dem Leitenden Regierungsmedizinaldirektor über Sprechstunden hinter Gittern und den Unterschied zwischen fiktiven und realen Kriminalfällen.
Mallorca Magazin: Im Tatort auf Mörderjagd, im echten Leben Knast-Arzt, in Dokus und Büchern der Erklärer des Bösen: Was um Himmels willen wurde Ihnen da in die Wiege gelegt?
Joe Bausch: Ich bin eigentlich ganz ohne das Böse aufgewachsen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass ich mich heute damit so intensiv beschäftigen kann. Wenn man das Böse wirklich kennengelernt hätte, wäre man eher befangen.
MM: Sie sind Arzt in der Vollzugsanstalt Werl, wo die ganz harten Fälle einsitzen. Sind Sprechstunden dort Mutproben?
Bausch: Nein, seit vielen Jahren nicht mehr. Ich habe um mich herum ja ein Team von kräftigen Krankenpflegern, die auf mich aufpassen. Die Sprechstunde im Knast ist für mich sicherer als auf der Straße zu sein.
MM: Wie muss man sich die Untersuchung eines Schwerverbrechers denn vorstellen?
Bausch: Da kommt jemand, der hat Handschellen, eventuell auch Fußfesseln an. In der Regel werden die Fesseln abgenommen und zwei Leute bleiben sozusagen "standby" in der Nähe. Manchmal, wenn jemand aggressiv daherkommt, bleiben die Fesseln auch dran. Stress gibt's eigentlich nur mit denen, die die ersten Wochen oder Monate einsitzen und noch nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen oder die Strafe noch nicht akzeptieren können. Nach drei, vier Jahren kommt die Ruhe.
MM: Gibt es typische Knast-Krankheiten? Oder geht es zu wie beim Hausarzt um die Ecke?
Bausch: Zunächst: Ich habe nur Männer, zwischen 23 und 84 Jahren. Ich habe es also weder mit Kinder- noch Frauenkrankheiten zu tun. Ansonsten mit der ganzen Palette. Und ich habe es auch mit sehr schwierigen Männern zu tun. Ihr einziges Agierfeld, in dem sie mal ihre Laune, ihren Frust austoben können, ist die Medizin. Denn wenn jemand die Hand hebt und sagt, ich bin krank, dann unterbricht er damit die tägliche Gebetsmühle.
MM: Das heißt vermutlich, dass es auch viele Simulanten gibt.
Bausch: Ein Drittel der Leute haben nichts, suchen aber ein Gespräch oder Aufmerksamkeit. Man darf nicht vergessen, ich bin der Einzige, der diese Männer anfasst, nicht um ihnen Handschellen anzulegen, sondern im Sinne ärztlicher Zuwendung. Das geht vielen ab.
MM: "Die Welt" hat mal geschrieben, "Bausch sieht härter aus als seine Patienten." Dazu ist er Kriminaler im TV. Hilft das im Umgang mit den Insassen?
Bausch: Absolut. Die Akzeptanz, die ich heute genieße, hat auch etwas mit meinem Aussehen zu tun. Außerdem habe ich als Schauspieler zunächst Zuhälter und Totschläger gespielt, den Dr. Roth im "Tatort Köln" gab es damals noch nicht. Auch das hat irgendwie signalisiert: Der hat keine Probleme im Umgang mit dem Thema Kriminalität.
MM: Jeder Arzt baut ein Vertrauensverhältnis zu seinen Patienten auf. Dürfen Sie das?
Bausch: Bedingt. Zu einigen habe ich schon so etwas wie ein Vertrauensverhältnis. Man darf nicht vergessen: Die ärztliche Schweigepflicht gilt auch im Gefängnis. Die Patienten wissen: Was sie mir erzählen, das bleibt in diesem Raum. Am Anfang wird man natürlich gebrieft. Wenn die merken, da ist einer geschwätzig, dann kommen sie nicht mehr. Ich hab meinen Stil konsequent durchgehalten, und das hat mir Respekt eingebracht. Einer hat mal gesagt: "Was der Dr. Müller-Wohlfahrt im deutschen Fußball ist, sind Sie im Knast."
MM: Sie sind nicht nur verschwiegen, sondern auch prominent.
Bausch: Da gibt es auch witzige Begegnungen. Wenn einer sagt, "Sie sind doch der...", dann entgegne ich gerne: "Aber Sie hätten doch nicht für sechs Jahre einchecken müssen, nur um sich mit mir unterhalten zu können." Aber im Ernst: Ich könnte mir meinen Job im Knast nicht vorstellen, wenn ich das andere nicht auch gehabt hätte.
MM: Warum?
Bausch: Für mich ergänzen sich die beiden Berufe schon fast kongenial. Man kann als Arzt im Knast nur heilen, wenn die Patienten merken, dass du dich für sie interessierst. Und als Schauspieler kannst du sie nur spielen, wenn du die Menschen gerne beobachtest. Beides braucht eine empathische Zuwendung.
MM: Wie nah lassen Sie die Geschichten im Gefängnis an sich herankommen? Wir sprechen ja von extremen Lebenssituationen.
Bausch: Ich habe Patienten, die Furchtbares getan haben. Kinder umgebracht, Frauen nicht nur vergewaltigt, sondern bestialisch ermordet haben. Der Umfang damit fällt in diesem Kontext, im Gefängnis, leichter als in der "freien Wildbahn". Ich erlebe sie ja im Knast, das heißt, die Rechnung ist bezahlt. Ein Pfarrer im Beichtstuhl hat es da schwerer. Bei dem gehen sie einfach wieder weg, meine gehen in den Gefängnishof.
MM: Sie haben mal gesagt: Im Knast wird viel gelacht. Wirklich?
Bausch: Das stimmt. Bei einigen Patienten denke ich, die kommen nur, um mich zu erheitern. Wichtig ist: Ich kann Scherze über mich selbst machen, das eröffnet auch beim Gegenüber die Chance.
MM: Welche Note geben Sie dem Justizsystem in Deutschland?
Bausch: Wenn ich schlechter als befriedigend geben müsste, würde ich da nicht arbeiten. Es gibt viele Länder, da würde ich den Job ums Verrecken nicht machen. Unser System entspricht in etwa meinen Anforderungen an Humanität, Menschenwürde und ärztliche Ethik. In den letzten 30 Jahren, so lange bin ich dabei, ist auch vieles besser geworden. Also: Ich gebe ein gutes Befriedigend.
MM: Stimmt es, dass Sie direkt neben dem Gefängnis wohnen?
Bausch: Schon seit 2000. Früher musste ich nach der Arbeit erst mal in ein Café und mit anderen Leuten sprechen, um die Festplatte zu defragmentieren. Aber irgendwann habe ich gemerkt, ich nehme keine belastenden Geschichten mit nach Hause.
MM: Welche Unterschiede oder Parallelen gibt es zwischen der fiktiven und der realen Kriminalität, zwischen Kintopp und Knast?
Bausch: Die erfundene Kriminalität ist immer um ein Vielfaches spannender als die reale. In Drehbüchern brauchen wir eine Dramaturgie, wir packen viel Inhalt rein. In der Realität gibt es Menschen, die grundlos einen anderen abstechen. Einfach so. Die Realität ist oft furchtbar banal.
MM: Viele behaupten, jeder kann zum Mörder werden. Richtig?
Bausch: Ich glaube nicht, dass in jedem auch ein Mörder steckt. Sicher gelingt es, Menschen zum Töten zu bringen, etwa in Kriegen. Aber nicht in jedem steckt das Zeug zum Mörder.
MM: Manche sprechen von einer Krimi-Schwemme im deutschen Fernsehen. Zu Recht?
Bausch: Im Fiktiven gibt es viel mehr Tötungsdelikte als im Realen, mehr als 13.000 pro Jahr. In der Realität sind es 2000. Wir sind auf diese Weise nicht ganz unschuldig daran, dass die Menschen Angst vor Mord und Totschlag haben.
MM: Gerichtsmediziner sind im TV schwer in.
Bausch: Das sind Figuren, die eine neue Einsicht geben können. Sie sind also dramaturgisch dienlich. Und zum anderen ist da die Faszination für Ärzte, die keine Scheu haben, an Toten zu arbeiten. Und der Forensiker gibt den Menschen das Gefühl: Wenn mir mal selbst was passieren sollte, kommt die Wahrheit ans Licht. Wir lösen ja alle Fälle.
MM: Sie machen aber auch Dokus, erklären interessante Kriminalfälle. Welcher hat Sie besonders fasziniert?
Bausch: In der ZDF-Reihe "Überführt" stelle ich Verbrecher und Taten vor, die man noch "mögen" kann. Das ist hart an der Grenze, denn de facto sind es Verbrecher. Aber sie wecken eben eine gewisse Sympathie, etwa "Milliarden-Mike" oder "Dagobert". Sie halten uns auch einen Spiegel vor im Hinblick auf eigene kriminelle Versuchungen.
MM: Ein harter Schnitt: Wie gut kennen Sie denn Mallorca?
Bausch: Nicht gut. Ich bin erst das vierte Mal hier. Das erste Mal noch mit einem gewissen Widerwillen. Dann habe ich die Insel erst mit dem Auto, danach mit dem Rad erfahren - und seither singe ich ein ganz anderes Lied über Mallorca. Was ich besonders liebe: Man kann auf Berge fahren und genießt dann einen weiten Blick, der vielleicht auch noch ins Meer mündet. Mallorca ist ein Ort, an dem jeder die Blicke findet, die für ihn Erholung bedeuten.
Die Fragen stellte Bernd Jogalla.
ZUR PERSON: JOE BAUSCH
Joe Bausch (64) ist Arzt, Schauspieler und Autor. Zuerst studierte der Westerwälder Theaterwissenschaften, Politik, Germanistik und Rechtswissenschaften, danach Medizin. Erste Schauspielerfahrungen machte Bausch Anfang der
1980er-Jahre in der Theatergruppe um Roland Reber (Theaterpathologisches Institut). Seit 1986 ist er Anstaltsarzt in der Justizvollzugsanstalt Werl. Er trägt die Amtsbezeichnung Leitender Regierungsmedizinaldirektor. Daneben wirkte Bausch in zahlreichen TV-Produktionen und einigen Kinofilmen mit.
Seit nunmehr 20 Jahren ist er im „Tatort Köln” als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth an der Seite der Kommissare Ballauf (Klaus. J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) zu sehen. Im Jahr 2012 erschien sein Buch „Knast”, in dem er seine Erfahrungen als Anstaltsarzt beschreibt. Im ZDF war in diesem Sommer die erste Staffel der Doku-Reihe „Überführt” zu sehen, in der Bausch über spektakuläre Kriminalfälle berichtet. Bausch ist verheiratet und hat eine Tochter.
(aus MM 37/2017)
1 Kommentar
Um einen Kommentar schreiben zu können, müssen Sie sich registrieren lassenund eingeloggt sein.
Einfach spektakulär...