Der Untertitel der Beethoven-Sonate, „Quasi una fantasia«, lädt Interpret und Hörer gleichermaßen dazu ein, emotional frei mit dem Notentext umzugehen. Dolya spielte den lyrischen Beginn des ersten Satzes mit delikatem Anschlag, das attacca einfallende C-dur-Allegro – Igor Levit hat es in seinem Podcast „32xBeethoven« als Ohrfeige bezeichnet – nahm den Charakter einer dahinrasenden halbminütigen Improvisation an. Das Allegro molto e vivace kam burschikos verspielt daher. Das von Beethoven vorgeschriebene „espressivo« im dritten Satz kostete Dolya genüsslich aus, um dann im finalen vierten Satz der ungestümen Kühnheit Beethovens freien Lauf zu lassen. – Die Konzertetüde „Un Sospiro« vereinte Virtuosität und zarte Lyrismen. Die Kombination aus Beidem schätzt Dolya besonders an Liszt, wie er mir im Interview sagte. Nach Vallée d’Obermann aus den „Années de Pelerinagge« setzte die Ungarische Rhapsodie Nr. 12 mit sehr farbig gespielten Puszta-Klängen einen wirkungsvollen Schlusspunkt unter den ersten Teil.
Nach der Pause, in der man die Kunst Rudi Neulands im Skulpturengarten der Finca auf sich wirken lassen konnte, stand dann der Arrangeur Liszt auf dem Programm. Als solcher hat er nicht nur eine große Affinität zu Beethoven – er hat alle neun Sinfonien des Komponisten genial für sein Instrument, das Klavier, bearbeitet – sondern auch zu Schubert, an dem ihn wohl vor allem der unerschöpfliche Melodienreichtum reizte. Es wird oft behauptet, Liszt habe mit seinen Arrangements Schubert auf ein höheres Niveau gehoben. Nein, sagt Dolya auf meine Frage, ob das denn überhaupt möglich sei. Allenfalls die Virtuosität sei durch sein enormes pianistisches Können erhöht worden. Die Hauptleistung bestehe aber darin, dass er den emotionalen Gehalt ohne die Textvorlage Schuberts auf einen reinen Klaviersatz zu übertragen im Stande gewesen sei und er den Schubert-Liedern ein größeres Publikum erschlossen habe. Wie genial das gelungen war, führte der Pianist mit den Transkriptionen „Frühlingsglaube«, „Auf dem Wasser zu singen« und dem Schwanengesang Nr.3, „Aufenthalt«, eindrucksvoll vor. Mit großem Einfühlungsvermögen wurde er dabei sowohl der stupenden technischen Herausforderung als auch der Gefühlswelt Schuberts gerecht.
Zum Schluss gab’s noch einmal Liszt pur: die große h-moll-Sonate, ein Gipfelwerk der Romantik und ein Höhepunkt in Liszts kompositorischen Schaffen, bot dem Pianisten die Möglichkeit, noch einmal das ganze Spektrum seines enormen Könnens zu zeigen. Von dieser Möglichkeit hat bereits die große Martha Argerich virtuosen Gebrauch gemacht, indem sie diese geniale Mischung aus pianistischer Power, formaler Kraft und einem romantischen Gefühlskosmos ohne Grenzen aufs Programm ihrer Debüt-CD gesetzt hat. Nach diesem finalen Kraftakt war der Beifall für Dolya vorprogrammiert. Er bedankte sich mit Chopins Nocturne op.9/2 und einer tollen Transkription der „Halle des Bergkönigs« aus Edward Griegs „Peer Gynt«.
Wer Schubert im Original erleben möchte, hat am Freitag, 29.11. und am Samstag, 30.11. eine fantastische Gelegenheit dazu: der große Wagner-Tenor Daniel Kirch singt auf der Künstlerfinca Can Brut die „Winterreise«. Er wird begleitet von Francesco Blanco. Die Uhrzeit wird noch bekannt gegeben. Martin Breuninger hat mit dem Sänger letztes Jahr ein Interview geführt, das Sie hier nachlesen können.
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