Antoni Riera plädiert unter anderem für einen nachhaltigen Umgang von Ressourcen und Produktionsmitteln. | Pere Bota

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Antoni Riera Font zählt zu den großen Weisen für die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung auf den Balearen. Der 60-jährige Mallorquiner ist unter anderem Präsident der regionalen Stiftung für Wirtschaftsförderung „Impulsa Balear”. Daneben ist er Dekan für Wirtschaftswissenschaften an der Balearen-Uni.Riera gilt als einer der Propheten der Kreislaufwirtschaft, die im Laufe der vergangenen Jahre zu einer steigenden Zahl von Anhängern unter Unternehmern und Politikern geführt hat. Im Interview erläutert Riera seine Prognosen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr und zeigt die damit verknüpften Probleme und Herausforderungen für Unternehmer, Angestellte, Verbraucher und Politiker auf.

Frage: Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Entwicklung auf den Balearen in diesem Jahr ein?

Antoni Riera: Wir haben 2023 mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 3,8 Prozentpunkten abgeschlossen. Für dieses Jahr rechne ich mit der Hälfte an Zuwachs. Auf der anderen Seite sind die Grundlagen für einen Aufschwung im darauffolgenden Jahr gegeben, alles hängt ein Stück weit von den geopolitischen Spannungen und der Inflationsentwicklung in Europa ab.

Frage: Was kommt auf uns Steuerzahler in den kommenden Monaten zu?

Riera: Trotz einiger Lohnerhöhungen und staatlichen Sozialschutzmaßnahmen wird sich der Kaufkraftverlust fortsetzen. Allerdings sind wir auch von einem Jahrzehnt niedriger oder fast negativer Zinssätze zu einem Jahrzehnt positiver Zinssätze übergegangen. Es wird ein schwieriges Jahr, aber das, was auf uns zukommt, ist besser als das, was wir hinter uns gelassen haben.

Frage: Was ist die große Herausforderung für die Tourismuswirtschaft auf den Balearen in diesem Jahr?

Riera: Wir haben ein Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit, das uns schwächt. Der Schlüssel liegt in der Verbesserung von zwei Säulen der Wettbewerbsfähigkeit, die seit mehr als 20 Jahren vernachlässigt wurden, nämlich Effizienz und Innovation.

Frage: Die Balearen sind eben die Region in Spanien, die am wenigsten in Innvation und Fortschritt investiert.

Riera: Wir haben ein großes Potenzial, um in der Innovation zu wachsen, vor allem in dem, was wir können. In 60 Jahren Tourismus haben wir viel Knowhow gesammelt, das es uns ermöglichen sollte, den Tourismus zu einem Motor des Fortschritts und der Entwicklung zu machen, der der gesamten Gesellschaft durch Innovation und Effizienz viel mehr Nutzen bringen wird.

Frage: Werden die Rezession und der wachsende Druck europäischer Steuervorschriften dem sozialen Schutzschild ein Ende setzen?

Riera: Was die Defizite betrifft, so dürften die öffentlichen Ausgaben im Jahr 2024 zwangsläufig zurückgehen. Wenn es uns gelingt, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, hätten wir nicht nur mehr Geld für den Sozialschild zur Verfügung, sondern der Bedarf des Sozialstaates selbst wäre geringer. Sobald das vor der Pandemie erreichte Produktionsniveau erreicht ist, dürfte 2024 eine neue Wachstumsphase beginnen, in der das „Wie” wichtiger ist als das „Wie viel”.

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Frage: Fördermittel der EU könnten die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln, wenn gleichzeitig bei anderen Haushaltsposten auf den Balearen gespart wird, oder?

Riera: Wir haben die einmalige Gelegenheit verpasst, in die Beseitigung unserer strukturellen Schwächen zu investieren, obwohl dafür noch Zeit ist. EU-Hilfen werden kommen, aber sie sind eng mit dem öffentlichen Sektor und der Modernisierung der Infrastruktur verbunden. Ich vermisse die Notwendigkeit eines ehrgeizigeren Ansatzes.

Frage: Sollte die Reform des regionalen Finanzierungssystems die Bevölkerungsvariable berücksichtigen?

Riera: Sie muss die Bevölkerungszunahme berücksichtigen, denn sie ist ja die einzige Variable, die wir nicht beeinflussen können.

Frage: Halten Sie es für ratsam, die Arbeitszeit auf den Balearen zu verkürzen??

Riera: Nicht alle Wirtschaftszweige können die von Politik und Wirtschaft geforderte Reduzierung der wöchentlichen Arbeitsstunden, sowohl aufgrund der Art ihrer Tätigkeit als auch aufgrund ihres Produktivitätsniveaus anwenden. Die Arbeitszeit muss flexibler werden und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen, aber das kann nicht auf einmal geschehen. Es muss nach einzelnen Branchen und sogar nach Unternehmen analysiert werden.

Frage: Das Landesarbeitsministerium trifft sich in den kommenden Wochen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften, um über die Erhöhung des Mindestlohns zu verhandeln. Wird es eine Einigung geben?

Riera: Es muss eine geben, denn in Zeiten der Inflation, wie wir sie derzeit erleben, sind die Arbeitnehmer mit den niedrigsten Löhnen die größten Verlierer. Und die bisherigen Erhöhungen haben die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht beeinträchtigt.

Frage: Sie haben es geschafft, Landesministerpräsidentin Marga Prohens von der Wichtigkeit eines Kreislaufwirtschaftssystem zu überzeugen. Was müssen die Balearen tun, um zum führenden Kreislaufreiseziel der Welt zu werden?

Riera: Die Kreislaufwirtschaft legt den Schwerpunkt darauf, wie man etwas tut, und nicht darauf, was man tut. Es geht nicht um die Frage ‘Tourismus ja oder nein’, sondern darum, wie wir unsere Wirtschaft verbessern können: Bleiben wir bei einem linearen Modell von Gewinnung, Nutzung und Wegwerfen oder entscheiden wir uns für ein Kreislaufmodell, bei dem wir sehr wenige Ressourcen verschwenden und die von uns erzeugten Abfälle wieder in den Produktionskreislauf einfließen lassen? Das Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft in der gesamten Wirtschaftsstruktur muss es uns ermöglichen, die Produktivität zu verbessern, das Pro-Kopf-Einkommen zu erhöhen und eine positive Zukunftsvision für dieses Land zu schaffen.

Die Fragen stellte Pere Cerón von der MM-Schwesterzeitung „Ultima Hora”