Gruseger Ort: Der "Animes"-Turm bei Banyalbufar. | Ultima Hora

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Der hochverehrte, unvergessene Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki (Gott hab’ ihn selig – welcher Gott auch immer ...) hat mal festgelegt, dass ein gutes Buch nur dann gut sein kann, wenn es ihn nicht langweilt. Das ist sehr harter Kautabak für 90 Prozent aller Feuilletonisten – und 99 Prozent aller Autoren. Aber „Schaurige Orte auf Mallorca” kämpft nicht mit diesem Problem, das Buch liest sich vorzüglich, auch wenn der Titel ebensogut „Schaurige Menschen auf Mallorca” lauten könnte. Was ja kein Nachteil ist, weil sich dadurch bösartige Lebendigkeit in die geografische Entsetzlichkeit einschleicht, und es macht gar nichts, dass die überwiegende Mehrzahl der Schuldigen Deutsche sind. Ja, wer denn sonst?

Elf Landsleute und ein Österreicher, gendergerecht sechs Frauen und sechs Männer (der Älteste 64, die Jüngste wahrscheinlich eine Frau, aber bei denen wird – emanzipationsfeindlich – das Alter verschwiegen), haben Storys beigetragen, die entweder klingen wie noch kriminellere Varianten von „Goodbye Deutschland”-Auswanderern oder so, als hätten Krimi-Historiker alte Sagen der Insel in Form moderner habgieriger Energie in unsere Jetztzeit transportiert. Was manchmal arg weit hergeholt scheint (und gewöhnungsbedürftig ist), aber ausgeglichen wird durch schreiberischen Einfallsreichtum von in langjähriger Praxis gehärteten Autoren wie zum Beispiel Thomas Fitzner, Ute Köhler, Martin Breuninger und Jan Lammers. Habt Ihr gut gemacht, Freunde!

Lesezeit pro Episode: etwa 15 bis 20 Minuten. Das deckt sich mit einem kleineren Glas Tinto im Patio, einer kurzen Prä-Einschlafphase oder einem unterhaltsamen Toilettenbesuch, wenn ich das aus eigener geistiger Notwendigkeit so sagen darf ...

Bemerkenswert: Selbst ich, der glaubt, das Mallorca-Lexikon auf mindestens zwei Beinen zu sein, musste mir beim Lesen eine gewisse Ignoranz vorführen lassen, denn die zwölf Geschichten stecken voller Detailwissen (unnütz, nützlich, überraschend ...), das raffiniert in die Spannungsbögen eingebaut wird, so dass man daraus einen Reiseführer für die gehobenen Touristen-Stände machen könnte – etwa wenn Barbara Ludwig zwei deutsche Erzganoven in die geheime unterirdische Armee-Anlage Reserva marina de l’illa de Toro schickt, oder Andreas Schnurbusch eine vom Schicksal geprügelte mallorquinische Stalkerin (die einzige schuldige Eingeborene!) einen deutschen Familienvater von Llucmajor auf den Berg Randa und bis nach Berlin verfolgten lässt. Amüsant gemacht!

Mein persönlicher Tipp: Lesen Sie die erste Geschichte im Buch, die mit den Steinschleuderern, lieber als letzte – sie ist die verzwickteste von allen und zu Beginn ziemlich schwere Kost ...

Zum Service: Der Herausgeber dieses 250-Seiten-Buches (Lutz Kreutzer) scheint ein praktisch veranlagter Literat zu sein, denn er liefert dem Leser neben den Kurzbiografien seiner zwölf Autoren auch zwei interaktive (!) Lagepläne der schaurigen Orte/Menschen und zu jedem fürchterlichen Geschehen eine sachliche geografische und historische Einführung zur Orientierung und fürs bessere Verständnis. Muchas gracias!

Nun zum schaurigen Preis: Der wurde dem von der Ampel-Koalition verschuldeten Kostendruck angepasst, denn das Taschenbuch kostet schlanke 14 Euro, das E-Book sogar nur 10,99 Euro. Das sind Kosten, die locker durch den Lesespaß aufgewogen werden, denn dies bedeutet, dass jede der 250 Seiten mit maximal 5,6 Cents zu Buche steht. Dafür hätte keiner der Gauner an den schaurigen Orten Mallorcas die Knarre durchgeladen oder den Knüppel gehoben ...