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Der Ball ist rund, und die Bundesrepublik hat 60 Jahre auf dem Buckel. Der deutsche Fußball ist eng mit unserem Nationalstolz verknüpft. Zwei für Deutschland denkwürdige Weltmeisterschaften bilden die Klammer für die wichtigsten Entwicklungen der letzten sechs Jahrzehnte: 1954, fünf Jahre, nachdem am 23. Mai 1949 das Grundgesetz verkündet worden war, konnte mit dem "Wunder von Bern" der erste Sieg als zweite deutsche Demokratie gefeiert werden. Aber 52 Jahre bis zum schwarz-rot-goldenen Sommermärchen der WM 2006 dauerte es, bis nicht nur die deutschen Farben wiederentdeckt, sondern auch das deutsche Wir-Gefühl und der Nationalstolz aus dem Dornröschenschlaf erweckt wurden.

Seither scheinen sich die Deutschen deutscher denn je zu fühlen. Laut einer Studie des Ipos-Instituts Mannheim sind aktuell 83 Prozent der Deutschen, "stolz darauf, Deutscher zu sein", die Studie der Identity Foundation spricht von 59 Prozent, 80 Prozent sähen es als Wesenszug der Deutschen, ihr Vaterland zu lieben. Und wie steht es um die Heimatliebe jener, die dieser längst den Rücken gekehrt haben, um auf Mallorca zu leben? "Für mich ist Deutschland sehr weit weg - das hat jetzt aber nichts mit der Distanz zu tun, denn ich fliege sehr oft hin", sagt Dieter Hanning, seit 1993 lebt er fest auf der Insel, davor pendelte er vierzehn Jahre. Dabei würde Hanning, rein demographisch gesehen, mit seinen 68 Jahren zur Gruppe mit starkem Nationalgefühl gehören, das laut der Studie der Identity Foundation ab dem Alter von 60 plus geradezu sprunghaft ansteigt.

Ganz anders empfindet die 32-jährige Annemarie Saal, die seit vier Jahren auf der Insel ist: "Ich bin eigentlich hergekommen, weil ich mich nie wirklich als Deutsche sah. Witzigerweise fühle mich hier deutscher als je zuvor, obwohl ich kein deutsches Fernsehen habe und auch keine Presse aus Deutschland lese. Es ist mehr eine Sache der Attraktivität - Deutschland hat aus der Ferne gesehen direkt etwas Exotisches für mich bekommen." Es ist ein soziologisches Phänomen, dass die eigene Nationalität in der Begegnung mit dem Fremden stärker wahrgenommen wird - das kann sowohl beim Aufeinandertreffen mit einer ausländischen Mannschaft im Stadion, beim Urlaub, oder dem direkten Kontakt mit anderen Kulturen der Fall sein: Denn Identität lässt sich erst im Widerspiegel kulturellen Selbstverständnisses erfahren - entscheidend sind oft die kleinen Dinge wie Essgewohnheiten, Begrüßungsrituale oder Pünktlichkeitsempfinden. "Deswegen entwickeln die einen im Ausland sogar ein stärkeres Bewusstsein, zu welchem Land sie gehören, andere legen es wiederum bewusst ab und ein anderer Teil bewegt sich zwischen beiden Polen relativ mühelos hin und her", hat die interkulturelle Trainerin Karin Schreiner beobachtet, die mit ihrer Firma "Intercultural Know How" Kurse für Rückkehrer anbietet. "Während man noch im Ausland lebt, ist man sich der großen Veränderungen, die man dort durchläuft, nämlich gar nicht bewusst", erklärt sie. Davon spricht auch Michael Klein, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Hohenheim und Leiter der Studie der "Identity Foundation": Es bilde sich ein blinder Fleck der Wahrnehmung, inwieweit man sich vom Heimatland wirklich distanziert habe. Denn die Veränderungen würden im fremden Umfeld ja nicht als solche wahrgenommen, sondern als alltäglich quittiert. "Erst wenn sich Besuch aus Deutschland anmeldet, kann der einem aufzeigen, wie sehr man doch schon zum 'Mallorquiner' geworden ist." Inwiefern dies der Fall ist, hängt aber nicht nur von den Gegebenheiten ab, wie man sein Inselleben gestaltet, sondern wohl auch davon, welcher Identitäts-Gruppe man angehörte, als man noch im Heimatland lebte. Die Studie fand heraus, dass die Beweggründe, warum und inwieweit sich Bürger mit der Bundesrepublik identifizieren, längst nicht generell zu beschreiben sind. Sie unterteilte in "Distanzdeutsche" (sie fühlen sich Deutschland nicht verbunden, ginge es nach ihnen, hätten sie eine andere Nationalität), "Herzdeutsche" (Nationalität ist Gefühlssache), "Kulturdeutsche" (sie identifizieren sich mit Geschichte, Brauchtum und den sogenannten deutschen Tugenden) und "Grunddeutsche" (zu dieser Gruppe zählt die Hälfte der deutschen Bevölkerung, sie vereint den Aspekt Herz und Kultur).

Interessant bezüglich des Heimatverständnisses der Mallorca-Deutschen sieht Klein die Gruppe der Distanz-Deutschen. Derzeit machen sie 13 Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus - in den vergangenen Jahrzehnten aber lag die Quote um ein Vielfaches höher. Ließe sich daraus ableiten, dass viele der Auswanderer dieser Gruppe entstammen? "Das ist Spekulation", betont Klein, "fest steht aber: Geht ein Distanz-Deutscher ins Ausland, kann er sich noch so sehr von seiner Nationalität distanzieren, er wird immer als Deutscher gelabelt und muss sich dort also mit etwas auseinandersetzen, das er ursprünglich abgelehnt hatte." "Ich verfolge zwar neben der spanischen auch die deutsche Politik, aber ich sehe mich eigentlich nicht mehr als Deutsche, sondern als Europäerin", sagt die 64-Jährige Hedda Naatz, die seit 15 Jahren Cala Figueras gegen Trier eingetauscht hat. Eine recht häufige Antwort, um den "gemischten Gefühlen" einen Namen zu geben. "Meist werden mit der Zeit in der Presseberichterstattung auch EU-Themen immer stärker verfolgt als politische Details der alten und neuen Heimat, weil diese einen nicht mehr so stark tangieren", erklärt Karin Schreiner. Dies sei auch ein adäquater Mittelweg, um dem entstehenden Druck, das politische Tagesgeschehen in beiden Ländern detailliert verfolgen zu müssen, besser ausweichen zu können. Dadurch überblicke man die Geschehnisse eher aus einer Metaperspektive, sehe vieles relativierter.

Es sei denn, es ginge um emotionale weltübergreifende politische Entscheidungen: "Quelle des deutschen Stolzes ist für viele unser Grundgesetz, aber auch die Ablehnung stärkeren militärischen Engagements", erklärt Klein, "die Haltung des Landes im Irak-Krieg etwa." Eine Situation, die wohl jeden auf Mallorca lebenden Deutschen damals zu einer eigenen inneren Stellungnahme zwang: Denn im Gegensatz zu Deutschland zog Spanien in den Krieg.

Dass anlässlich des 60. Geburtstages der Bundesrepublik auf den Fincas der Deutschen die Fahnen gehisst werden, ist wohl nicht zu erwarten: Obwohl 75 Prozent fordern, der Nationalstolz solle nicht immer im Schatten der Vergangenheit gesehen werden, ist das Bedürfnis nach Nationaleuphorie aber eher gering: Die Fahne schwenken, das sollen besser die anderen machen.