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Maria hüpft ausgelassen in einem geräumigen Patio in Palmas historischem Zentrum hin und her. Ihre blonden Haare leuchten in der Sonne. Sie trägt ein rotes Kleidchen, den Schnuller fest im Mund, ein Kuscheltier in der Hand. Immer wieder schmust sie mit ihrer Mutter, wird vom Vater in den Arm genommen und von Oma und Opa gehätschelt. Alle haben sich mächtig herausgeputzt. Und wären sie nicht in ausgerechnet diesem Innenhof versammelt, hätte es nach einem Familienidyll aus den Bilderbuch ausgesehen. Aber der Schein trügt.

Am 22. Mai 2004 gegen 2 Uhr, nur wenige Stunden nach ihrem Flug von Frankfurt nach Mallorca, brachte Jessica B. in einer Frauen-Toilette im Real Club Náutico in Palma ihre Tochter zur Welt und ließ das frischgeborene Kind nackt und blutverschmiert in der Kloschüssel zurück (MM berichtete mehrfach). Gegenüber Zeugen stritt sie ab, die Mutter zu sein. Im Rettungswagen wurde das Findelkind unverzüglich in die Notaufnahme gebracht. Es wog 3290 Gramm und war wohlauf.

Noch im Laufe des Tages wurde Jessica B. von der Guardia Civil vernommen. Eine angeordnete gerichtsmedizinische Untersuchung ließ keinen Zwiefel daran, dass sie ein Kind geboren hatte. Aber erst in der Zelle erinnerte sich die Frau nach eigenen Angaben wieder an die Ereignisse. Nach zweieinhalbwöchiger U-Haft und der Hinterlegung einer Kaution in Höhe von 100.000 Euro wurde der Haftbefehl gegen Jessica B. ausgesetzt. Bis zur Gerichtsverhandlung, so die Meldeauflage, durfte die damals 26jährige Spanien nicht verlassen.

Rechtsanwalt Thorsten Meinzer klagt über die Hitze und zündet sich nervös eine Zigarette an. Aber nervös müsste er eigentlich nicht sein. „Es wird gut für meine Mandantin ausgehen.” Vor Gericht vertritt Meinzer Jessica B. nicht. Dies übernimmt sein Kollege Josep Perelló. Aber viel zu vertreten gibt es nicht.

Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass das Urteil schon vor Prozessbeginn ausgehandelt worden war. Perelló hat keine Fragen an die Zeugen. Nicht an den Gurdia-Civil-Beamten, nicht an den Arzt, nicht an Andrea Richter, die eigens zur Aussage aus Stuttgart eingeflogen wurde (Richter war eine der ersten, die sich um das „Toilettenbaby” kümmerten). Und an die Angeklagte schon gar nicht.

Mit kaum hörbarer Stimme gesteht Jessica B. der Richterin, dass sie ihre Tochter in der Toilette zurückgelassen hatte. Unter Schock, ohne zu wissen, was sie tat.

Schon nach einer halben Stunde werden alle verbleibenden Zeugen wieder nach Hause geschickt. Die Staatsanwaltschaft hält sich an den Deal mit der Verteidigung und zieht ihre Anklage wegen versuchter Tötung zurück. Sie unterstellt Jessica B. nicht mehr, vorsätzlich nach Mallorca gereist zu sein, um sich hier ihres Kindes zu entledigen, und reduziert das ursprünglich geforderte Strafmaß von acht auf zwei Jahre. Im Interesse des Kindes wird die Haftstrafe in eine Geldbuße in Höhe von 65.000 Euro umgewandelt.

Der Gerichtsdiener gibt den wenigen Prozessbeobachtern, unter ihnen auch die deutsche Konsulin Karin Köller und der als Rechtsexperte hinzugezogene deutsche Honorarkonsul für Ibiza, Eckehardt Boxberger, zu verstehen, dass der Saal nun verlassen werden müsste. „Wir vom Konsulat wollten bei diesem Fall, der in den spanischen und deutschen Medien hohe Wellen schlug, lediglich Präsenz zeigen”, so Köller.

Präsent sind auch einige Pressefotografen, die den Prozessausgang dokumentieren wollen. „Keine Fotos, machen sie keine Fotos”, geht der Kindsvater unwirsch die Medienvertreter an.

Sowohl die Mutter als auch Marias Vater sind nicht gut auf die Presse zu sprechen. Auch gegenüber dem Mallorca Magazin verweigert Jessica B. nahezu jeden Kommentar. „Wie soll ich mich schon fühlen”, war der einzige Satz, den ihr Partner zuläßt, bevor er noch einmal energisch betont: „Wir sprechen nicht mit der Presse. Man hat uns oft genug verarscht.”

Bei dem Prozessausgang, so Rechtsanwalt Meinzer, handle es sich nicht um eine juristische Entscheidung der Verteidung. Diese gehe nach wie vor von der Unschuld ihrer Mandantin aus. Jessica B. habe unter den Einflüssen eines Schocks gestanden, der durch die Umstände ihrer Sturzgeburt ausgelöst worden sei. Vielmehr habe man sich aus praktischen Gründen entschlossen, sich mit dem Staatsanwalt zu einigen.

Sobald das Urteil zugestellt worden ist, ist Jessica B. ein freier Mensch. Die Strafe wird mit der Kaution verrechnet. Eine Anfechtung ist nicht möglich.

Das Drama hat Jessica B. einen 15monatigen unfreiwilligen Mallorcaaufenthalt beschert. Die Geburt hat, ohne Nebenkosten, 65.000 Euro gekostet. Demnächst will sie mit dem Kindsvater in Deutschland zusammen ziehen.