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REINHARD ADEL
D em Südländer sagt man eine gewisse Immunität gegenüber Lärm nach. Vermutlich nicht ganz zu unrecht, war doch der Begriff „Lärmemission" bis November vergangenen Jahres im spanischen Gesetzesdschungel gänzlich unbekannt. Erst die Verabschiedung einer EU-weiten Richtlinie ein Jahr zuvor rief die Legislative auf den Plan. Konkrete Grenzwerte und präzise Verbote mit entsprechender Sanktionierung gibt es freilich bis heute meist nur auf Gemeindeebene.

Dabei hat es den Anschein, als sei das akustische Toleranzpotential selbst bei den Spaniern inzwischen ausgeschöpft. Und das nicht nur an der bierseligen Playa de Palma, wo man nach Protesten der Anwohner ab Mitternacht Musik nur noch hinter isolierten Fassaden abspielen darf. Die Bewohner des Ausgehviertels Lonja in der Altstadt von Palma liefern sich ebenfalls seit Jahren einen Kampf mit den Kneipiers. Inwieweit Lärmbelästigung längst als gesamtgesellschaftliches Problem betrachtet wird, zeigt das Ergebnis einer Umfrage des spanischen Statistikamts (INE) von 2001: Jeder Dritte auf den Balearen gab an, sich von Lärm belästigt zu fühlen, in Palma waren es gar 41'2 Prozent.

Einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge ist der Straßenverkehr mit einem Anteil von etwa 80 Prozent die hauptsächliche Lärmquelle. Dass Spanien beim internationalen Lärm-Ranking hinter Japan auf dem zweiten Platz rangiert, verdankt es vermutlich auch der Manipulierfreude seiner jugendlichen MofaBesitzer. Auf Mallorca sind nach Schätzungen des Inselrats etwa 100.000 dieser kreischenden Zweiräder unterwegs. „Das Problem liegt darin, dass für die Mofas unter 50 Kubikzentimeter keine ITV-Pflicht besteht", sagt Cristina Cerdó, Direktorin im Wirtschaftsdezernat des Inselrats (ITV ist das Pedant zum deutschen TÜV). „Und die Lärmbelästigung durch diese Gruppe wird immer schlimmer." Hoffnung setzt sie derzeit auf 2005. Bis dahin will das spanische Innenministerium die ITV-Befreiung für Mofas aufheben. Bis es soweit ist, versucht es der Inselrat mit gutem Zureden. Vor wenigen Tagen brach ein High-Tech-Bus mit Dezibel-Messgeräten zu einer Aufklärungskampagne quer über die Insel auf. Die Effektivität der Aktion darf indes bezweifelt werden, denn: „Die Teilnahme ist freiwillig und es drohen keine Bußgelder", so Cerdó.

Bislang treten bei Lärmvergehen nur Städte und Gemeinden auf den Plan. Im Straßenverkehr gelten beispielsweise in Palma und Calvià dieselben Grenzwerte: Mofas dürfen 80 Dezibel nicht überschreiten, Motorrädern sind 86 Dezibel gegönnt und Personenfahrzeugen 82 Dezibel. Dazu muss man wissen, dass für die Weltgesundheitsbehörde (WHO) ein Lärmpegel von 45 Dezibel im Inneren eines Wohnraums bereits als störend empfunden wird. Hörschäden riskiert, wer dauerhaft einem Lärmpegel von 90 Dezibel ausgesetzt ist. Zum Vergleich: eine normale Unterhaltung treibt das Messgerät auf 50 Dezibel, Straßenverkehr auf durchschnittlich 85 Dezibel und der Auspuff eines frisierten Mofas auf 115 Dezibel. Calvià hat gegenüber Palma entweder die rücksichtsloseren Barbetreiber oder den ausgeprägteren Willen zur Lärmreduzierung. Allein in den Sommermonaten 2003 deckten die Prüfer in der Gastronomie 40 Lärmvergehen auf. In Palma fielen hingegen im ganzen Jahr 2003 nur 17 Barbesitzer unangenehm auf.

Bei den Reiseveranstaltern TUI und FTI will man von einem Lärmproblem nichts wissen, weder auf Mallorca noch in anderen Zielgebieten. „Keinerlei Beschwerden seit Beginn der Wintersaison 2003/04" vermeldet FTI. Aus der TUI-Zentrale in Hannover heißt es, dass sich Lärm „nicht unter den zehn häufigsten Reklamationsgründen von Mallorca-Reisenden" findet. Nach einer Studie des Leipziger Instituts für empirische Forschung (Leif) richteten sich im vergangenen Jahr aber 39 Prozent aller 675.000 Beschwerden gegen Lärm, Mängel beim Service, Sauberkeit und Bauzustand des Hotels. Klagen um Erholung gebrachte Reisekunden auf Schadensersatz, dient den Richtern die so genannte Frankfurter Tabelle als Richtlinie. So winken bis zu 40 Prozent Rückerstattung des Reisepreises, wenn sich beweisen lässt, dass nachts vor Lärm kaum Schlaf zu finden war.

Mallorca lebt in erster Linie vom Tourismus, und der ist ohne den Flughafen Son Sant Joan nicht vorstellbar. Doch Flugzeuge sind laut, wenn auch nicht mehr so laut wie noch vor 30 Jahren. Seit Mitte der 60er Jahre ist der Lärmpegel der Düsenjets um 25 Dezibel gesunken, was einer Reduzierung der empfundenen Lautstärke um rund drei Viertel entspricht, so das Ergebnis einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft– und Raumfahrt (DLR). Die große Zeit der Techniksprünge scheint aber vorbei zu sein, langfristig schätzt das DLR das Potential zur Lärmverminderung auf zehn bis zwölf Dezibel. Die EU-Kommission hat bereits 110 Millionen Euro für das Lärmreduzierungsprogramm SILENCE(R) lockergemacht. An dem Forschungsprojekt beteiligen sich 51 Unternehmen aus der Triebwerksbranche.

Immer leiser werdenden Flugzeugen steht ein ständig steigendes Verkehrsaufkommen gegenüber. Landeten 1993 auf Son Sant Joan noch rund 96.000 Flieger, waren es zehn Jahre später bereits fast 169.000. Auch zu nächtlicher Stunde nahm der Flugbetrieb zu. Im März 1993 fertigte der Tower zwischen vier und und fünf Uhr morgens 114 Flugzeuge ab, bis 2003 stieg diese Zahl auf 152. Der Unterschied bei den August-Daten ist zum Leidwesen der Anwohner in Can Pastilla ungleich größer: hier schnellte die Zahl von 250 auf 591 abgewickelte Flugzeuge.

Die Verabschiedung des eingangs erwähnten Gesetzes war nur ein erster Schritt in Richtung Lärmkontrolle in Spanien. Nun liegt es an den Regionen, Lärmgebiete zu definieren sowie Grenzwerte und Sanktionen festzulegen. Die Balearen-Regierung arbeitet derzeit an einem Entwurf zum „Balearischen Lärmgesetz" (Ley balear de ruido). Über den Inhalt des Regelwerks will sich Ventura Blach, Generaldirektor im Umweltministerium, zum jetzigen Zeitpunkt nur vage äußern. „Es muss ein Weg gefunden werden, der sowohl die Rechte des Bürgers als auch des Unternehmers respektiert." Dabei müsse zudem die besondere Situation der Balearen als Zielgebiet mehrerer Millionen Urlauber berücksichtigt werden.