Wenn es um Einwanderer geht, müssen die Balearen in Europa nur
die holländische Region Flevoland „fürchten”. Denn nur in dieser
kleinen Küstenregion, so fanden Statistiker von Eurostat unlängst
heraus, liegt die Quote pro tausend Einwohner noch höher als auf
der Inselgruppe: 24'6 zu 23'2 für Holland. Insgesamt zählten die
Balearen zu Jahresbeginn rund 126.000 gemeldete Ausländer.
Ob beim Durchschnittsbalearen die Spitzenposition Stolz oder
vielmehr Schweißausbrüche auslöst, sei dahingestellt. Ohne Zweifel
aber ist das Thema Einwanderung inzwischen ein gesellschaftlicher
Dauerbrenner. Davon zeugt auch die Publikationsfreude, mit der sich
Wissenschaftler sowie öffentliche und private Institutionen dem
neuen Phänomen widmen. Kürzlich war es wieder soweit: Der
mallorquinische Professor für zeitgenössische Geschichte, Sebastiá
Serra (52), stellte ein Gemeinschaftswerk verschiedener Experten
mit dem Titel „La Immigració, Països Emissors i Les Illes Balears”
(Verlag Edicions Cort) vor.
Darin beleuchten 19 Mitverfasser das zunehmend an Brisanz
gewinnende Thema aus drei verschiedenen Perspektiven. „Zunächst
analysieren wir den internationalen Kontext und dann die
länderspezifischen Gruppen. Abschließend nähern wir uns der
sozialen Lage in den jeweiligen Herkunftsländern”, fasst Serra, der
an der Balearen-Universität UIB lehrt, zusammen. So detailverliebt
die Texte oft sind, die Zahlen sind leider veraltet. Der
Ausländeranteil an der hiesigen Bevölkerung beträgt beispielsweise
längst nicht mehr 5'65 Prozent, wie den Leser eine Grafik glauben
machen will, sondern 13'35 Prozent.
Die einzige ausländische Mitarbeiterin bei dem Werk über
Einwanderung auf den Balearen ist Verena Kuhnen de Roca (59). „Es
ist eben ein Thema, das mich auch persönlich interessierte”, sagt
die vormalige Psychologie-Dozentin der Freien Universität Berlin.
Bei den Mallorquinern herrsche noch immer die Meinung vor, bei den
Deutschen handele es sich nur um Wohlhabende, hat Kuhnen de Roca in
ihren 16 Jahren Mallorca beobachtet. „Doch in den letzten Jahren
hat sich das Profil des Mallorca-Deutschen erheblich verändert.”
Immer jünger seien die Menschen, die auf die Insel kommen, „und
immer mehr kommen auch zum Arbeiten”. Dass der Zustrom in den
nächsten Jahren abreiße, glaubt sie nicht. Denn viele Deutsche
täten es ihren Verwandten und Bekannten gleich und zögen in den
Süden nach.
Wer sich ohne gesicherte Pension auf das Abenteuer Mallorca
einlässt, sollte nach Ansicht von Serra mit einer guten Ausbildung
aufwarten können. „Der große Wirtschaftsboom ist erstmal vorbei.
Wenn Arbeitskräfte gesucht werden, dann in erster Linie
Fachkräfte”, prognostiziert der Wissenschaftler. Jüngst
veröffentlichte Zahlen des balearischen Wirtschaftsministeriums
geben ihm Recht. Danach fiel die Zahl der geschaffenen Jobs von
21.163 im Jahr 2000 auf zuletzt 1884 (2003). Die logische Folge
ungebremster Zuwanderung ist eine kontinuierlich steigende
Arbeitslosenquote.
Der massive Zustrom von Ausländern habe aber nicht nur
ökonomische Folgen für die Balearen, sondern auch
gesellschaftliche, sagt Serra. „Die Menschen hier erlitten einen
regelrechten Schock”, hat er festgestellt, „die waren auf eine
solche Situation nicht vorbereitet.” Damit sei auch die Angst um
den Verlust ihrer Identität zu erklären. Womit das hoch emotionale
Thema Sprache erreicht wäre. Serra ist der Meinung, dass Zuwanderer
sowohl Castellano als auch Catalán erlernen sollten, „es sind hier
nun mal die beiden offiziellen Sprachen”.
Kritisch geht Serra mit den Behörden ins Gericht. Die seien auf
die Bedürfnisse der Einwanderer nur unzureichend eingestellt. „Es
fehlt an allen Ecken und Enden”, bemängelt der Experte die
öffentliche Verwaltung, „vor allem in den Bereichen
Gesundheitswesen und Schule.” Er wirft den Regierenden schlicht ein
Mangel an Weitsicht vor, „da besteht noch viel Nachholbedarf”. Das
gelte auch für die Dialogbereitschaft zwischen Neuankömmlingen und
Insulanern. „Man muss miteinander reden.” Wie die balearische
Gesellschaft in 20 Jahren zusammengesetzt sein wird, hängt für
Serra davon ab, wie die internationale Gemeinschaft auf die
zunehmende Bedrohung durch islamische Terroristen reagiert. „Die
Welt verlangt nach einem grundlegenden Kurswechsel. Wenn es den
Industrieländern nicht gelingt, die Lebensbedingungen in vielen
Staaten zu verbessern, wird der Zustrom nach Europa andauern.”
Auf die Frage, ob Deutsche und Mallorquiner von der Mentalität
zusammenpassen, antwortet Psychologin Kuhnen de Roca mit einem
spontanen Nein. „Tagsüber regen sie sich auf, dass der Wagen aus
der Werkstatt nicht pünktlich fertig ist, und abends lieben sie das
süße Inselleben.” Die Berlinerin wünscht sich von ihren Landsleuten
mehr Gelassenheit, „nicht immer nur meckern und versuchen, die
Mallorquiner zu erziehen”.
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