Als Korinnas Umzug von Deutschland nach Mallorca anstand,
verabschiedeten sich die Freunde mit einem Geschenk, das ihrer
Phantasie, wie denn das Leben auf einer Mittelmeerinsel auszusehen
habe, klaren Ausdruck verschaffte: eine Hängematte. „Für die
Siesta”, schrieben sie dazu. Später hing das erstaunlich bequeme
Teil dann im Garten unter einem Baum – manchem der Freunde, die im
Urlaub zu Besuch kamen, hat es zum Nickerchen im Schatten gute
Dienste geleistet, derweil Korinna im Büro von einer Liege zum
Mittagsschlaf nur träumen konnte.
Denn Spanien hat seinen Ruf als Land der Siesta-Schläfer zu
Unrecht: Schlafforscher haben in einer jetzt veröffentlichten groß
angelegten europäischen Studie herausgefunden, dass Deutschland
Europameister des Mittagsschlafs ist. „22 Prozent der Deutschen
machen mittags ein Nickerchen, aber nur acht Prozent der Spanier”,
sagt Jürgen Zulley vom Schlafmedizinischen Zentrum der Universität
und des Bezirksklinikums Regensburg.
Entgegen der landläufigen Meinung, die Südeuropäer seien die
größten Fans des Schläfchens am Tag, bilden Spanier und die
Portugiesen (mit neun Prozent) das Schlusslicht im internationalen
Vergleich. Jürgen Zulley erklärt diese Zahlen zum einen mit dem
relativ hohen Anteil älterer Menschen in Deutschland, zum anderen
mit anderen Schlafgewohnheiten insgesamt: „Die Deutschen stehen
auch als erstes auf, nämlich durchschnittlich um 6.23 Uhr.” Der
Durchschnittsspanier beginnt den Tag erst um 7.36 Uhr. Mittags sei
er dann nicht so müde. Allerdings gehen die Spanier in der Regel
auch später ins Bett als die Deutschen. „Der Sonnenstand spielt
dabei eine Rolle.” In Spanien wird es später hell, dadurch
verschiebt sich der Tagesablauf.
Wurden Siesta-Schläfer früher eher belächelt, so kann man den
Drang, sich nach dem Essen ein wenig hinzulegen und die Augen zu
schließen, heute offen äußern: „Der Mittagsschlaf erlebt in letzter
Zeit eine weltweite Wiederentdeckung”, so der Schlafforscher. Laut
der Studie halten insbesondere Rentner und Nicht-Erwerbstätige
Mittagsschlaf. Dies sei ein Hinweis darauf, dass die Mittagsruhe
ein biologisches Grundbedürfnis sei, so der Professor. Der Drang
sei erst durch die Anforderungen der modernen Berufswelt
„wegrationalisiert worden”.
Erst allmählich finden die Erkenntnisse der Schlafforscher, dass
ein Schläfchen nach dem Mittagessen anschließend positive
Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit haben kann, Eingang in die
Arbeitswelt. „In den USA und Japan ist nicht mehr die Frage, ob
Mittagsschlaf, sondern wie er in den Arbeitsalltag integriert
werden kann”, so Jürgen Zulley. Auf Mallorca und anderswo in
Spanien sind Firmen, die ihren Mitarbeitern die Mittagsruhe in
speziellen Räumlichkeiten ermöglichen, noch äußerst rar.
Doch viele Arbeitnehmer haben zumindest theoretisch die
Möglichkeit, Siesta zu halten, da die Mittagspause länger als etwa
in Deutschland ist. Auch der Umstand, dass die Hitze in südlichen
Ländern die Müdigkeit am Mittag noch verstärkt, hat offenbar nicht
dazu geführt, dass die Spanier in der Siesta-Statistik vorgerückt
wären.
Die allgemeine Renaissance des Mittagsschlafes ist nach Ansicht
von Jürgen Zulley der Einsicht zu verdanken, dass „der Mensch eine
recht unzuverlässige Maschine ist, auf deren Schwachstellen
Rücksicht genommen werden muss”. Die Anforderungen der
technisierten Umwelt mit gleich bleibenden Belastungen über Tag und
Nacht habe zu steigenden Unfallzahlen und damit einhergehend zu
höheren Kosten geführt.
Praktisch alle Funktionen des Menschen verändern sich
systematisch im Laufe des Tages und der Nacht, wobei der Rhythmus
des Organismus, wie etwa der Kreislauf, von einer „inneren Uhr”
bestimmt werden. Der Kreislauf sei gegen drei Uhr morgens und gegen
Mittag labiler als zu anderen Tageszeiten. Und in den
Unfallstatistiken häufen sich Müdigkeit als Unfallursache nicht nur
nachts, sondern auch am frühen Nachmittag.
Laut den Schlafforschern ist die positive Wirkung der Siesta
erwiesen: Mit einem kurzen Schlaf könne das Leistungstief (in
Deutschland zwischen 13 und 14 Uhr) überbrückt werden. Die Schläfer
seien danach erholter und leistungsfähiger als Menschen ohne
Mittagsschlaf. „Entscheidend ist, dass der Schlaf kurz ist”, sagt
Jürgen Zulley. Das heißt, er sollte zwischen zehn und 30 Minuten
dauern. „Dabei ist es uns Schlafforschern immer noch ein Rätsel,
warum ein kurzer Schlaf von zehn Minuten mittags so erholsam
ist.”
Ältere Menschen machen häufig längere Nickerchen: „Der
biologische Rhythmus schwächt sich ab”, sagt Zulley. Manche von
denen, die tagsüber schlummern, schlafen nachts weniger. Manche
Ärzte raten deshalb vom Mittagsschlaf ab, wenn nächtliche
Schlafstörungen auftreten. „Es gibt aber auch den anderen
Standpunkt bei den Schlafforschern, die fragen, warum man dagegen
halten sollte, wenn die Leute tagsüber schlafen und nachts wach
sind. Manche Stadtverwaltungen denken schon über Nachtcafés für
Senioren nach.”
Dafür, ob Schlafstörungen vorliegen oder nicht, gebe es genaue
Kriterien. Der Arzt, der Menschen mit solchen Störungen behandelt,
wünschte sich manchmal die südliche Sonne Mallorcas ins
Behandlungszimmer: „Manche Schlafstörungen und auch Depressionen
werden mit hellem Tageslicht behandelt. Damit kann die Müdigkeit
tagsüber bekämpft werden.”
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