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Jessica möchte wissen, warum Flugzeuge in Häuser fliegen. Flugzeuge, die sie bisher immer sicher nach Mallorca gebracht haben. Sie möchte wissen, warum in der Stadt mit den großen Häusern so viele Menschen weinen, warum ihre Mutter manchmal am Telefon heimlich weint. Jessica soll davon nichts merken, aber sie weiß es und sagt nichts. Jessica ist fünf Jahre alt. Ihre Eltern habe in den verschiedensten europäischen Ländern gelebt, dann lange in Deutschland, leben heute auf Mallorca. Sie haben Freunde in aller Welt und sprechen viele Sprachen.

Auch Jessica ist bereits mehrsprachig. Zurzeit allerdings ist sie oft sprachlos. Außer wenn sie fragt. Und sie fragt viel. Sie möchte wissen, was das ist – vermisst –, warum die Feuerwehrleute in New York so lange zum Aufräumen brauchen, warum vielleicht Krieg kommt, wenn doch alle sagen, Krieg sei schrecklich. Sie möchte wissen, was ein Terrorist ist. Und sie will wissen, warum die anderen Kinder ihren Freund Ismael manchmal so merkwürdig anschauen, wenn er mit ihnen spielen will. Von ihm weiß Jessica längst, wo das Land Marokko liegt, wo er geboren ist.

Gestern ging ich mit Jessica spazieren, versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen. Wir streiften durch den Wald, sammelten ein paar Steineicheln, fanden etwas frische Minze für den Salat. Wir sahen ein Kaninchen, einen Wiedehopf und einen Bussard und fanden das aufregend. Wir sahen die ersten grünen Spitzen im Gras, die ersten neuen Blätter an Büschen und Sträuchern.

Jessica ging lange schweigend an meiner Hand, war ganz in Gedanken. Plötzlich hob sie den Kopf und sagte: „Wenn es regnet in New York, wird dann alles wieder gut?” Ich war verständnislos, was wiederum Jessica nicht verstehen konnte. „Weißt Du, im Sommer, wenn die Sonne lange scheint, wird alles braun und trocken. Dann, wenn es zum ersten Mal regnet, wächst alles wieder. Das wird in New York auch so sein”, schloss sie voller Vertrauen. „Wenn es erst regnet, wächst alles wieder. Dann muss auch dort niemand mehr weinen.”