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Autobomben, tödliche Nackenschüsse gegen Politiker, Molotow-Cocktails: Seit Jahren überzieht die ETA Spanien mit Terror. Die blutige Gewalt der Separatisten aus dem nordostspanischen Baskenland ist der ins Absurde gesteigerte Effekt einer Zentrifugalbewegung, mit der sich die spanischen Regionen der Kontrolle des Zentrums zu entziehen trachten. Lange fühlten sie in Francos zentralistischem Staat geknechtet.

Zwar hat der Konflikt mit Madrid nur im Baskenland zu Terrorismus geführt. Aber das künftige Verhältnis zwischen dem Staat und den Autonomen Gemeinschaften sowie den 17 Regionen untereinander ist nach wie vor das konfliktträchtigste politische Thema des Landes. Und in diesem Jahr werden entscheidende Weichen für den Ausbau des föderalen Systems gestellt.

Bisher schlagen die Effekte des herrschenden Kompetenzwirrwarrs bis in die privaten Lebensbereiche der Bürger durch – auch auf den Balearen. Wenn Straßen nicht ausgebaut, Kliniken nicht fertiggestellt und Wasserleitungen nicht gelegt werden oder Unterricht ausfällt, steckt oft ein Konflikt zwischen Palma und Madrid um Geld und Macht dahinter.

Wer die Dispute um den bundesdeutschen Länderfinanzausgleich verfolgt, kann das Streitpotenzial ermessen, das in diesen Fragen steckt. Zumal das Verhältnis der Zentrale zu den Regionen aus historischen und politischen Gründen in Spanien sehr viel weniger genau geregelt ist als in Alemania.

So besitzen etwa die sogenannten historischen Autonomien und einige andere Regionen erheblich weitergehende Kompetenzen als andere. Den Grad der Diffenz zeigt eine Zahl: Auf den Balearen unterstehen von den 40.000 öffentlichen Bediensteten fast die Hälfte der Madrider Zentrale. Dagegen sind etwa in Katalonien, dem Baskenland oder Valencia dreimal mehr Staatsdiener für die jeweiligen Autonomen Region tätig als für die Zentralregierung. Ein Umstand, der immer wieder den Unmut der sich kleingehalten fühlenden linken und nationalistischen Balearen-Politiker herausfordert.
Das Baskenland darf sogar seine Steuern komplett eigenständig erheben. Das würde nicht nur der linksnationalistische Vizepräsident der Balearen, Pere Sampol (PSM), auch gerne. Mit eigener Steuerkompetenz wäre die oft beklagte Rolle der reichen Inseln als ,,Melkkuh” für Madrid zu Ende.

Dass einige Autonomien mehr Kompetenzen haben als etwa die Balearen, dient konservativen Akteuren wie dem Chef der balearischen PP und spanischen Umweltminister Jaume Matas jedoch auch als Hebel, den weiterreichenden nationalistischen Forderungen etwa in Katalonien entgegenzutreten. Ein ,,Spanien der zwei Geschwindigkeiten” sei abzulehnen, so der ehemalige Präsident der Balearen.

Begründet wurde diese Ungleichbehandlung zwischen den Regionen, weil das Baskenland, Galizien und Katalonien schon in der Republik der dreißiger Jahre vor dem Franco-Putsch per Volksentscheid Autonomiestatute erhalten hatten. In anderen Regionen wie den Kanarischen Inseln oder Andalusien bildeten sich in der ,,Transición” vom Franco-Staat zur Demokratie schnell starke nationalistische Bewegungen heraus, die Autonomie einforderten.

Zwar definiert die erste demokratische Verfassung nach dem Tod des Diktators Franco Spanien seit 1978 als eine einzige Nation, die sich aus verschiedenen Nationalitäten und Regionen zusammensetzt, und legt als Ziel einen föderalen Staat fest.

Wie genau aber der Staat aufgebaut sein sollte und wie die Kompetenzen und die Steuereinnahmen zwischen Madrid und den Regionen zu verteilen seien, darüber schweigt sich die spanische Carta Magna aus. Der Senat, die zweite Kammer des spanischen Parlaments, soll schon lange zu einer echten Vertretung der Regionen wie der deutsche Bundesrat umgebaut werden – aber das Projekt kommt nicht voran.

Besonders ums Geld zanken Madrid und die Regionen, auch die Balearen, ausgiebig.
,,Ganz im Gegensatz zu den ausführlichen Bestimmungen über die Finanzordnung zwischen Bund und Ländern im Bonner Grundgesetz hat die Verfassung von 1978 der Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften nur wenige und recht unbestimmte Regelungen gewidmet”, schreibt der deutsche Politologe Andreas Hildenbrand, der im andalusischen Wirtschaftsministerium tätig ist. ,,Deshalb waren und sind es bis heute politische Aushandlungsprozesse, welche über die wahre Gestalt des Finanzierungssystems entscheiden.” Zwar wird laut Hildebrand bereits mehr als jede vierte Peseta, die aus öffentlichen Kassen fließt, von den Autonomien ausgegeben. Damit sei auf der Ausgabenseite der gleiche Dezentralisierungsgrad wie in föderalen Staaten wie Deutschland oder Österreich erreicht. Aber auf der Einnahmeseite sind die Autonomien weiterhin stark von den Transferleistungen des Staates abhängig, ihr Beitrag durch eigene Steuern ist laut Hildebrand erheblich niedriger als etwa in Deutschland. Auch deswegen, weil die Regionen es bevorzugen, die ,,geldausgebende Verwaltung” zu spielen und dem Staat die undankbare Aufgabe der Steuererhebung zu überlassen.

So ziehen die Balearen jährlich rund 40 Milliarden Pesetas (470 Mio. Mark) an eigenen Steuern ein, der Haushalt der Autonomen Region beläuft sich jedoch auf das Vierfache. Um Einnahmen zu steigern, ist die Balearenregierung auf die zwar populäre, aber in der Tourismusbranche schwer angefeindete Ökosteuer für Touristen gekommen, die auf Hotelübernachtungen erhoben werden soll.

Immer wieder müssen die Bürger auf den Balearen darum das Gerangel zwischen Madrid und Palma ausbaden: Madrid will das Geld für den Fernstraßenbau nicht freigeben, weil die neue Regierung die Autobahn-Pläne der Vorgänger nicht einhalten will. Palma und Madrid zanken um die Finanzierung der neuen Krankenhäuser Inca und Palma II, die Fertigstellung verzögert sich entsprechend. Madrid sitzt auf den Milliarden für den Ausbau der hydrologischen Infrastruktur, weil die Zentralregierung andere Vorstellungen über die Wasserpolitik auf den Inseln hat als die Regionalregierung.

Nicht nur die balearische Umweltgruppe GOB hat den Eindruck, dass Madrid über die Zange der Finanzierung nach eigentlich lange an die Region abgetretenen Kompetenzen greift. ,,Wir wissen, dass wir keine Unterstützung der Zentralregierung haben, um unsere Ziele zu erreichen”, klagte jüngst Präsident Francesc Antich (PSOE) vor dem Regionalparlament.

Erschwerend kommt hinzu, dass in Palma der ,,Fortschrittspakt” aus Linksparteien und Nationalisten regiert, in Madrid die konservative PP. Lange Jahre war es zuvor umgekehrt: In Madrid saß die sozialistische PSOE auf den Geldtöpfen, an die die balearische PP-Regierung heranwollte.

Zur Zeit formieren sich die Fronten im Streit um die Neuregelung der Finanzierung, der in diesem Jahr für den Zeitraum 2002 bis 2006 ausgefochten werden muss. Kürzlich war der katalanische Präsident Jordi Pujol von der bürgerlich-nationalistischen Koalition CiU in Palma, um mit seinem sozialistischen Amtskollegen Antich quer über die Parteigrenzen eine gemeinsame Linie für die Verhandlungen festzulegen. Auch das PP-regierte Valencia fordert ein neues Finanzierungsmodell.

Umstritten unter den Regionen ist jedoch auch, ob es wie im deutschen Länderfinanzausgleich einen Transfer von reichen zu armen Autonomien geben sollte.

Aus Madrid ist von dem Plan zu hören, den Regionen künftig 40 statt bisher 30 Prozent der auf ihrem Territorium eingezogenen Einkommenssteuer zu belassen. Die Opposition hält das für eine Luftblase, weil die PP-Regierung noch nicht mal überall die versprochenen 30 Prozent bezahlt habe. Auch sei aus dem zugesagten Regionalen Ausgleichsfonds noch keine Peseta geflossen.

Auch wenn die Finanzierung der Autonomen regionen weiter unklar ist, sollen dennoch in den kommenden Jahren wichtige Kompetenzen nach Palma und in andere bisher kürzer gehaltene Provinzhauptstädte übergehen. Die Balearen wollen eine eigene regionale Polizei gründen, neben der Guardia Civil, der Nationalpolizei und den Lokalen Polizeien wäre das dann das vierte Korps von Ordnungshütern.

Im vergangenen Sommer billigte das Parlament die Pläne für ein regionales Arbeitsamt, das die gesamtspanische Organisation INEM ablösen soll.
Im Januar haben die Inseln in Madrid offiziell die Übertragung der Kompetenzen für die Justiz bis 2003 beantragt. In den Gerichten wäre man heilfroh, nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit in der Hauptstadt vorstellig werden zu müssen.

Auch im Gesundheitswesen sollen die Balearen bald das alleinige Sagen haben. Die ungeliebte Staatsbehörde Insalud will sich nach den Worten ihres Präsidenten Rubén Moreno bis zum 1. Januar 2003 zurückziehen. Bisher jammert die balearische Gesundheitsministerin, die Inseln lägen bei den Gesundheitsausgaben pro Einwohner weit unter dem spanischen Durchschnitt.

Wenn die Finanzierung der neuen Aufgaben nicht geklärt ist, kann die Erweiterung der Kompetenzen auch ein Eigentor sein: Die Regierung beklagt, ihre konservativen Vorgänger hätten in Madrid schlecht verhandelt, als vor zweieinhalb Jahren das Erziehungswesen an die Region übertragen worden war. Die 40 Milliarden Pesetas (470 Mio. Mark), die Madrid pro Jahr überweist, seien viel zu wenig. Pro Schüler bekommen die Balearen demnach fast 100.000 Pesetas weniger als andere Regionen. Aber die Demos protestierender Schüler und Lehrer ziehen nun mal durch Palma und nicht durch Madrid. Das ist der Preis der Autonomie: Die Politiker sind näher am Volk dran, selbst wenn sie für die Übel nicht allein verantwortlich sein sollten.