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Grillgeruch liegt in der Luft, aus Hinterhöfen drängt der Lärm von Werkstätten, aus den Fenstern in einem Obergeschoss dröhnt Latino-Musik. Überhaupt erinnert in den Straßenzügen des südlichen Teils von Palmas Viertel La Soledat vieles an Lateinamerika, an die ärmeren Viertel von Buenos Aires vielleicht, an Lima oder La Paz. Auch ein bisschen an Marokko. Irgendwie charmant wirkt es, das "Barrio", gleichzeitig aber schmutzig und heruntergekommen.

Hinter den bunten Fassaden der kleinen, flachen Behausungen mit den grünen Fensterläden leben mit die sozial Schwächsten der Stadt. Immer wieder muss die Polizei anrücken. Nachts, erzählt man sich, wird hier mit Drogen gehandelt. Auch und insbesondere für Frauen soll es bisweilen gefährlich sein.

Tagsüber macht La Soledat nicht wirklich Angst. Vielleicht auch, weil immer wieder Motorradstreifen der "Policía Local" patrouillieren. Hier und da verlassen einige Bewohner ihre Häuser, treten mit Butangasflaschen oder Plastiktüten in der Hand auf die Straße oder schieben einen Einkaufswagen mit Sperrmüll umher. Viele der Menschen, die hier leben, sind Zuwanderer. Südamerikaner, Afrikaner, "Gitanos", wie die Spanier Sinti und Roma nennen. Das hat Tradition in La Soledat. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kamen immer wieder "Fremde" in das Quartier, wo die Mietpreise billig sind.

Wie lange die Gesellschaftsstrukturen in dem Viertel noch so bleiben, ist ungewiss. Nach einem Bericht der Tageszeitung "Ultima Hora" könnte sich La Soledat bald auf den Weg machen, dem Beispiel anderer ehemaliger Arbeiter- und Armenviertel wie El Molinar oder Santa Catalina zu folgen, und sich in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren zu einem In-Quartier mausern.

Beim Gang durch die Straßen scheint eine solche Entwicklung heute zwar noch in sehr weiter Ferne, rein baulich aber bringt La Soledat die gleichen Voraussetzungen mit wie Santa Catalina und El Molinar: ruhige Straßen mit flacher, farbenfroher Bebauung bestehend aus vielen kleinen Einfamilienhäusern, dazwischen Industriedenkmäler wie die alte Textilfabrik Can Ribes mit dem markanten Backsteinschlot, die in den 60er-Jahren stillgelegt wurde und die schon jetzt wie ein Anziehungspunkt in dem Viertel wirkt. Schließt der Besucher dort die Augen, kann er sich in Gedanken schon einen Gastro-Markt, eine Kunsthalle oder moderne Lofts vorstellen. Öffnet er die Augen aber, sieht er vor allem zwei Dinge: zum einen Müll, der allenthalben herumliegt, zum anderen die skeptischen Blicke der Anwohner, denen Besucher grundverdächtig zu sein scheinen.

Trotzdem: "Jetzt ist der Moment, in La Soledat zu investieren", zitiert "Ultima Hora" Immobilien-Experten. Die Quadratmeterpreise bewegten sich zwischen 1000 und 1500 Euro, eine geräumige Wohnung sei also bereits zu Preisen ab 100.000 Euro zu bekommen. Als Indiz dafür, dass sich das Viertel zu einem neuen Hotspot entwickeln könnte, sehen die Experten vor allem die geplanten Investitionen der öffentlichen Hand: In Can Ribes soll bis 2018 ein Kulturzentrum entstehen. Südlich davon, wo bereits das Viertel Nou Llevant beginnt und gleich neben der Rafael-Nadal-Stiftung ist der Bau des Konzertsaals "Caja de la Música", in der das Sinfonieorchester der Balearen seinen Sitz haben soll, geplant und die Fertigstellung des Kongresspalastes ist bereits vollzogen. Auf diese Weise, schreibt "Ultima Hora", entstehe eine "soziokulturelle Achse", die Grundstein für eine Aufwertung der Gegend sein könnte. Das sehen auch viele Politiker so: "Dort entsteht das Palma der kommenden 15 bis 20 Jahre", so beispielsweise die Meinung von Vize-Bürgermeister Antoni Noguera.

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Natalia Bueno, Vizepräsidentin des Maklerverbandes der Balearen, glaubt auch: "Alle Wohngebiete, die in unmittelbarer Nähe zum Meer liegen, werden irgendwann aufgewertet." Und vom südlichen La Soledat ist es nur ein Katzensprung zum Stadtstrand Ca'n Pere Antoni. Sogar einige Deutsche, so verlautet es aus Maklerkreisen, hätten schon Grundbesitz dort erworben. Die Mehrzahl der Kunden ließe sich aber dennoch vom derzeitigen Zustand der Viertel abschrecken. Zudem machten die wiederholten Meldungen über Kriminalität Angst.

Und dennoch: Beispiele, wie sich auch sogenannte Schmuddel-Barrios zu hippen Trend-Viertel entwickeln können, gibt es in Palma zur Genüge. Egal ob Santa Catalina, El Molinar oder Sa Gerreria: Wo früher "Gitanos" und andere arme Randgruppen lebten, wo Drogen und krumme Geschäfte an der Tagesordnung waren, da kaufen heute reiche Schweden, Deutsche und Briten ganze Straßenzüge. Das Problem: In all diesen Vierteln sind sowohl der Raum als auch die Anzahl der zum Verkauf stehenden Immobilien begrenzt. Hinzu kommt ein enormer Druck durch Touristen, die dort Ferienimmobilien mieten. In Santa Catalina muss man fast schon Millionär sein, um sich eine Immobilie leisten zu können. In Extremfällen, schreibt "Ultima Hora", liege der Quadratmeterpreis dort bei 15.000 Euro, was bei 100 Quadratmeter Wohnfläche einen Gesamtpreis von 1,5 Millionen Euro macht.

Dass die Investoren-Karawane deshalb weiterziehen muss, ist also sicher und es zeigt sich an der Tatsache, dass viele Anleger bereits auf das Nachbarviertel Son Espanyolet ausweichen. Santa Catalina franst also regelrecht aus. Auch Barrios wie die Gegend rund um die Calle Blanquerna oder das Viertel Arxiduc unweit der Plaça d'Espanya sind mittlerweile gefragt. Ein Rückgang der Investitionen von Ausländern in Immobilien in Palma ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Bis 2030 soll die Bevölkerung Palmas zu 40 Prozent aus Ausländern bestehen. 2015 waren es 26 Prozent, 2004 nur 16 Prozent. In noblen Wohngegenden wie Son Vida, Sant Agustí oder Cala Major könnten in gut zehn Jahren bereits mehr als die Hälfte der Einwohner Nicht-Spanier sein. Nicht wenige sehen in dieser Entwicklung den Ausverkauf der Stadt.

Jaume Garau, Vorsitzender der Bürgervereinigung Palma XXI, mahnt: "In Barcelona zum Beispiel ist die Markthalle 'La Boquería' nur noch für Touristen da. Das ist das Ergebnis von Gentrifizierung." Auch Venedig, wo Ausländer Wohneigentum mieten und vermieten wie sie möchten, dient vielen als Negativbeispiel einer solchen Entwicklung. Vielleicht drückt auch deshalb Vize-Bürgermeister Noguera bei La Soledat und Nou Llevant auf die Bremse: "Das Viertel darf nicht seine Essenz verlieren, vielmehr soll ein kreatives 'Barrio' entstehen."

Neben Can Ribes, der Konzerthalle und dem Kongresspalast sieht "Ultima Hora" übrigens als vierten Bezugspunkt eines zukünftigen Kulturviertels das leer stehende, gläserne Gesa-Hochhaus im Süden des Viertels Foners, das westlich an Nou Llevant und La Soledat grenzt. Auch dort soll in naher Zukunft Kunst Raum gegeben werden. Daneben könnten Sozialräume für Veranstaltungen geschaffen werden.

Ob dieses "große Kulturviertel" dann tatsächlich eine echte Gentrifizierung mit sich bringt, ist ungewiss. Zeit brauchen würde eine solche Entwicklung allemal. Viel Zeit.

(aus MM 9/2017)