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VON ALEXANDER

SEPASGOSARIAN
Was haben Bach und Beethoven, Adolf Hitler und Albert Schweitzer, das Judentum und der Naziterror mit dem Dörfchen Búger auf Mallorca zu tun? Eigentlich nichts. Und eigentlich sehr viel. Denn die kleine Gemeinde im Norden der Insel ist der mallorquinische Kristallisationspunkt einer erstmals von MM nachgezeichneten deutsch-jüdischen Familiensaga, die drei Generationen umfasst und auf zwei Kontinenten spielt.

Um das Jahr 1933 ließ sich der Berliner Bildhauer Alfred Ehlers auf Mallorca nieder. In Búger wollte er für sich und seine jüdischen Angehörigen eine neue Bleibe schaffen. In Deutschland war der Ruf „Juda verrecke!” zu Beginn der 30er Jahre immer lauter geworden, und mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde der Rassismus offizielle Politik. Während viele jüdische Mitbürger noch hofften, der braune Spuk werde über Nacht verschwinden, zogen andere es vor, in die Emigration zu gehen.

Ehlers lebte bis zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges im Sommer 1936 mehr schlecht als recht in Búger. Ursprünglich hatte der ehemalige Lehrer an der Berliner Kunstakademie die Idee, auf der Insel ein Musikzentrum zu eröffnen. Doch schon bald geriet der 48-Jährige, insbesondere wegen der politischen Umwälzungen in Deutschland, in Geldnot und konnte das Projekt nicht weiter verfolgen. Ein Haus mit Arkaden, das er in Búger errichten wollte, endete als Rohbau. Erst in den 60er Jahren wurde es fertig gestellt und dient noch heute deutschen Eigentümern als Feriensitz.

Obwohl sie sich bereits getrennt hatten, besuchte Ehlers Ex-Frau ihn um 1935 auf der Insel. Alice Ehlers war eine international gefeierte Musikerin. Wegen ihrer Bach-Interpretationen galt die jüdische Cembalistin als Koryphäe. 1927 hatte sie bei der Jahrhundertfeier zu Beethovens Tod in Wien gespielt. Auch in Palma gab Alice Ehlers im Almudaina-Palast ein gut besuchtes Konzert. 1997 erschien ihr knapp 40 Jahre währender Briefwechsel mit Albert Schweitzer als Buch.

Alice Ehlers war auch nach Mallorca gekommen, um ihren neugeborenen Enkel kennen zu lernen. Christina Ehlers, die Tochter des Künstlerpaares, lebte 1934 in Palma, wo sie als Sprachlehrerin tätig war. Gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten Richard Fester wohnte sie in Genova. Das Paar hatte noch kurz vor der Geburt des Kindes heiraten wollen, dann aber auf die Überfahrt nach Barcelona zum deutschen Generalkonsulat wegen stürmischer See verzichtet. Richard Fester ist zugegen, als das Baby am 4. November 1934 in Palma zur Welt kommt. Die Nonnen glauben nicht, dass das Kind überlebt und taufen es deshalb schnell nach katholischem Ritus. Doch der Junge kommt durch und Richard Fester gibt ihm seinen Namen: Peter Fester. Dass Richard auch biologisch der Vater ist, ist so eindeutig nicht. Das Paar trennt sich noch vor Ausbruch des Bürgerkrieges, und Christina, die 1960 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt, erdichtet ein Legendengeflecht um den Erzeuger ihres Kindes. Bis vor wenigen Monaten hat der nunmehr knapp 70-jährige Ehlers-Enkel, der heute als Peter Wentworth in Kalifornien zu Hause ist, in dem Glauben gelebt, sein Vater „Ricardo Pablo Fester” sei ein Spanier gewesen, der in den ersten Tagen des Bürgerkrieges fiel.

Wer aber war Alfred Ehlers, der Mallorca und das republikanische Spanien (seit 1931) als sichere Bleibe für sich und seine Familie auswählte? Der Mann wird in der lokalen Geschichtsschreibung wie auch in der Gran Encyclopèdia de Mallorca fälschlicherweise als der „deutsche Architekt Alfred HELLER” geführt. Erst im Zuge dieser Recherche konnte der Irrtum, der auf die spanische Aussprache des Namens zurückgeht, aufgeklärt werden.

Geboren am 31. Juli 1885 im sächsischen Wechselburg, zog Ehlers später nach Berlin, arbeitete während des Ersten Weltkrieges in der kartographischen Abteilung des stellvertretenden Generalstabes der Armee. Vor drei Monaten wurde auf einer Antiquariatsmesse eines seiner Kunstwerke aus jener Zeit verkauft.

Auf Mallorca erwarb Ehlers den gegenüber von Búger gelegenen Hügel Es Pujol. Dort ließ er die verfallene Windmühle Can Palerm zum Wohnhaus umbauen. Elf arbeitslose Männer aus dem Dorf fanden dabei ihr Auskommen. Ein Wasserspeicher, den Ehlers anlegen ließ, dient den heutigen Besitzern als Schwimmbecken. Doch bald ging das Geld aus und Ehlers musste Mitte 1935 das Grundstück wieder an den Vorbesitzer abtreten. Dennoch lebte er mit einer deutschen Frau und deren kleiner Tochter Marion weiter im Dorf. „Er saß im Schatten eines Baumes, unter dem er einen Tisch hatte mauern lassen”, erinnert sich Juan Bennassar, 86, der Neffe des Hügelbesitzers. Ehlers habe viel geschrieben und gelesen, viel geraucht. „Er schien immer auf etwas zu warten, Briefe, Nachrichten und Geld, das nicht kam.” Als 1936 der Bürgerkrieg ausbricht, muss Ehlers erneut fliehen. Mit Hilfe des US-Konsuls gelingt es ihm, auf das letzte Schiff nach Marseille zu kommen. Über Frankreich geht es weiter nach England. Da Ehlers lungenkrank ist, darf er nicht in die USA einreisen. Er stirbt in London, vermutlich um 1955.j
Vater „Ricardo Pablo Fester” sei ein Spanier gewesen, der in den ersten Tagen des Bürgerkrieges fiel.
Wer aber war Alfred Ehlers, der Mallorca und das republikanische Spanien (seit 1931) als sichere Bleibe für sich und seine Familie auswählte? Der Mann wird in der lokalen Geschichtsschreibung wie auch in der Gran Encyclopèdia de Mallorca fälschlicherweise als der „deutsche Architekt Alfred HELLER” geführt. Erst im Zuge dieser Recherche konnte der Irrtum, der auf die spanische Aussprache des Namens zurückgeht, aufgeklärt werden.

Geboren am 31. Juli 1885 im sächsischen Wechselburg, zog Ehlers später nach Berlin, arbeitete während des Ersten Weltkrieges in der kartographischen Abteilung des stellvertretenden Generalstabes der Armee. Vor drei Monaten wurde auf einer Antiquariatsmesse eines seiner Kunstwerke aus jener Zeit verkauft.

Auf Mallorca erwarb Ehlers den gegenüber von Búger gelegenen Hügel Es Pujol. Dort ließ er die verfallene Windmühle Can Palerm zum Wohnhaus umbauen. Elf arbeitslose Männer aus dem Dorf fanden dabei ihr Auskommen. Ein Wasserspeicher, den Ehlers anlegen ließ, dient den heutigen Besitzern als Schwimmbecken. Doch bald ging das Geld aus und Ehlers musste Mitte 1935 das Grundstück wieder an den Vorbesitzer abtreten. Dennoch lebte er mit einer deutschen Frau und deren kleiner Tochter Marion weiter im Dorf. „Er saß im Schatten eines Baumes, unter dem er einen Tisch hatte mauern lassen”, erinnert sich Juan Bennassar, 86, der Neffe des Hügelbesitzers. Ehlers habe viel geschrieben und gelesen, viel geraucht. „Er schien immer auf etwas zu warten, Briefe, Nachrichten und Geld, das nicht kam.” Als 1936 der Bürgerkrieg ausbricht, muss Ehlers erneut fliehen. Mit Hilfe des US-Konsuls gelingt es ihm, auf das letzte Schiff nach Marseille zu kommen. Über Frankreich geht es weiter nach England. Da Ehlers lungenkrank ist, darf er nicht in die USA einreisen. Er stirbt in London, vermutlich um 1955.