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Wenn im deutschen Altersheim auf Mallorca ein Bewohner stirbt, wird am Schwarzen Brett eine Todesanzeige angebracht. Lange bleibt sie dort in der Regel allerdings nicht hängen: Hier will kaum einer daran erinnert werden, dass früher oder später für jeden die Vertreibung aus dem sonnigen Rentner-Paradies ansteht. Auch der Kleidung der junggebliebenen Alten sieht man an, dass sie noch mitten im Leben stehen wollen: "Statt sich wie die meisten Altersgenossen farblich erdigen Tönen zuzuwenden, sehen sie in ihren knallbunten Kleidern eher so aus, als ob sie auf die nächste Tanzstunde warten", sagt ein Insider.

Der Tod - das letzte Tabu der Spaßgesellschaft? Andreas Ahnert, Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde auf Mallorca, formuliert es so: " In der Coca Cola Gesellschaft hat der Gedanke an den Tod keinen Platz." Das Sterbenmüssen sei eines der großen Themen, die gerne verdrängt werden. Dabei schaffe gerade die Beschäftigung mit dieser zentralen Lebensfrage gute Voraussetzungen dafür, die Angst vor dem Tod zu verlieren. Ungewöhnlich für einen Pfarrer: Auf Mallorca habe er es mit weitaus mehr Hochzeiten als Todesfällen zu tun. DAs sei zum einen durch die große Fluktuation der Residenten zu erklären. Die meisten deutschen Mallorca-Bewohner kehren irgendwann zurück ins Heimatland. Das gelte besonders für die Älteren und Schwerkranken: "Es kommt häufig vor, dass diese Menschen im letzten Moment zurück nach Deutschland wollen."

Von den rund 300 Deutschen, die pro Jahr auf der Insel sterben, sind die allermeisten Urlauber. Diejenigen, die auf Mallorca bleiben und sterben, sind nach den Worten von Andreas Ahnert oft so gut integriert, dass sie in der Dorfgemeinschaft bestattet werden und gar kein Kontakt zum deutschen Pfarrer zustande kommt.

Von einer großen Hilfsbereitschaft der Menschen in ihrem Wohnort Búger berichtet Rosa Maria Ortlepp (75). Die Nachbarn und Freunde hätten ihrem Mann nicht nur während jahrelanger schwerer Krankheit beigestanden, sondern wie selbstverständlich auch seine komplette Beerdigung organisiert. Den deutschen Pfarrer habe sie nur gerufen, weil ihr Mann evangelisch war. Die Predigt wurde auf Spanisch gehalten. 23 Jahre ist das nun schon her. Die Witwe fühlt sich immer noch wohl in der Dorfgemeinschaft: "Ich habe mich nie alleine gefühlt. In so einem kleinen Dorf ist das Leben sehr familiär. Ich würde nie wieder hier weggehen."

Pfarrer Andreas Ahnert und sein deutscher katholischer Kollege haben pro Jahr etwa mit jeweils 15 bis 20 Beerdigungen zu tun. Wenn der Verstorbene konfessionslos war, wird mitunter auch der Deutsche Hartmut Fels als Beerdigungsredner engagiert. Etwa zehnmal pro Jahr hält der aus der Kirche ausgetretene ehemalige Pfarrer, der heute das HOtel "Girasol" in Maria de la Salut betreibt, solche Nachrufe. Den Toten nicht einfach sang- und klanglos unter die Erde zu bringen, hält er für richtig: "Bei jeder Abschiedsfeier werden Reden gehalten." Über 80 Prozent der Menschen wrde zu Lebzeiten nie öffentlich geredet - sie erhalten wenigstens im Tod eine Wertschätzung ihrer Person. Auch wenn der Betroffene nichts mehr davon hat, so sei die Würdigung des Toten doch wichtig für die Familie. "Man kann da keine großen Dinge bewegen, aber Denkanstöße geben."

Wurden Nachrufe früher automatisch gleichgesetzt mit Lobhudelei, weil man einfach nicht schlecht redete über Tote, so bemühen sich die Grabredner heute eher zu einer realistischen Beschreibung des Verstorbenen. „Ich fordere die Angehörigen auf, mir alles zu sagen, damit ich die Fettnäpfchen vermeiden kann”, so Hartmut Fels. Die Wahrheit, wenn sie unangenehm ist, beschreibe er so verpackt, dass nur die Insider sie erkennen, während alle anderen sie für allgemeingültige Aussagen halten können.

Sowohl Hartmut Fels als auch die deutschen Pfarrer auf Mallorca leisten auf Wunsch „Trauerarbeit” bei den Angehörigen. Mit dem Tod eines nahen Menschen „kommt niemand so einfach klar”, sagt Andreas Ahnert. Helfen könne man am ehesten durch Zuhören, durch Mittrauern, durch Mitleiden. Der gut gemeinte Hinweis, dass die Trauer nur eine Frage der Zeit sei, helfe überhaupt nicht. Wer sich nicht mit seiner Trauer beschäftige, neige dazu zu verbittern. Mitunter schlage die Trauer auch in Auto-Aggression um.

Die Trauerphase sei bei jedem Menschen und von Fall zu Fall verschieden, sagt Hartmut Fels. Der Prozess sei aber immer derselbe: Euphorischen Erinnerungen folgen aggressive Phasen mit Vorwürfen und Selbstvorwürfen. „Manchmal können wir nur die Vorarbeit für den Psychologen leisten.”

Sich immer wieder klar zu machen, dass das Leben nur eine bestimmte Zeit dauert, helfe, mit Trauer und der Todesangst klar zu kommen, so Hartmut Fels. Auch Andreas Ahnert kann von sich behaupten, „keine Angst vor dem Tod” zu haben. „Der Glaube hilft sicher dabei. Aber einem Bestattungsunternehmer, der täglich mit dem Thema zu tun hat, geht das sicher genauso.”

Das bestätigt Regina Hahn-Fels, die in Berlin im traditionsreichen Betrieb der Familie als Bestatterin gearbeitet hatte, bevor sie 1999 mit Hartmut Fels nach Mallorca gekommen ist. „Als Kind habe ich zwischen Särgen Versteck gespielt”, sagt die 51-Jährige.

Den Tod täglich vor Augen zu haben, helfe, intensiver zu leben und manche Dinge nicht so tragisch zu nehmen. Ihr Beruf und ihre Lebensumstände hätten ihr dabei geholfen, den Tod des eigenen Vaters vor wenigen Wochen leichter zu ertragen.