Nirgendwo in Spanien gibt es pro Kopf der Bevölkerung so viele
Ärzte wie auf den Balearen. In der hiesigen Ärztekammer sind fast
4000 Mediziner eingeschrieben, Zahnärzte nicht mitgezählt.
Statistisch gesehen teilen sich 222 Inselbewohner einen Arzt. Auf
Mallorca ist das Verhältnis für den Patienten noch günstiger. Auf
211 Einwohner kommt hier rechnerisch ein Arzt. Damit bieten die
Balearen selbst im Vergleich zu Deutschland, wo jeder 280.
Einwohner ein erfolgreiches Medizinstudium nachweisen kann, eine
ungewöhnlich hohe Ärztedichte.
Auch des Spanischen nicht mächtige brauchen sich vor einem
Arztbesuch nicht ängstigen. Zumindest nicht bezüglich der
Verständigung. Längst praktizieren auf Menorca, Ibiza und vor allem
Mallorca Mediziner aus den unterschiedlichsten europäischen
Herkunftsländern. Selbst gut Spanisch sprechende Ausländer
bevorzugen üblicherweise einen Arzt ihrer Muttersprache: Für ein
leichtes Ziehen im Nacken, ein undefinierbares Grummeln im Magen
oder ein gelegentliches Schwindelgefühl fehlen oft die adäquaten
Vokabeln, die dem Spezialisten eine Diagnose erleichtern und für
eine Anamnese unabdingbar sind.
94 deutsche Mediziner sind bei der balearischen Ärztekammer
eingetragen. Um die 70 üben ihren Beruf auf Mallorca aus.
Inserierten vor zehn Jahren noch lediglich eine Hand voll Ärzte im
Mallorca Magazin, sind in den aktuellen Ausgaben nahezu alle
deutschsprachigen Inselärzte mehr oder weniger werbewirksam
präsent. Im Gegensatz zu Deutschland dürfen in Spanien Mediziner
Anzeigen schalten und öffentlich ihre Dienste anpreisen.
Immer mehr Allgemeinmediziner und Fachärzte der verschiedensten
Richtungen versuchten in den vergangenen Jahren auf Mallorca eine
neue Existenz aufzubauen, weitere planen zu kommen. Aber schon
jetzt, da sind sich die Betreiber der bestehenden Praxen einig, ist
der Markt gesättigt, Nischen kaum noch vorhanden. Es gibt nahezu
keine Fachrichtung, die nicht vertreten ist. Die medizinische
Versorgung der geschätzten 70.000 überwiegend auf Mallorca lebenden
Deutschen lässt kaum Wünsche offen.
Aber der symbolische Kuchen Patient kann nicht unbegrenzt
geteilt werden. Jeder will ein Stück abhaben, am liebsten das
größere. Selbst Diabetiker. Konkurrenz belebt innerhalb der
Medizinerszene nicht das Geschäft. Der Kampf um die Patienten
bestimmt auch die Beziehungen untereinander. In der Zunft ist der
Ton rauher geworden. Der hippokratische Eid schützt nicht vor Neid
und Missgunst.
„Früher hatte man noch gute Kontakte zu den Kollegen, jetzt
kriegt man kaum noch etwas mit”, sagt Dr. Thomas Schmidle, der im
März 1987 als erster deutscher Arzt auf Mallorca in Cala d'Or eine
Praxis eröffnete. Auch an der Ostküste, so der Allgemeinmediziner,
sei der Bedarf an Ärzten längst gedeckt. „Manch ein Kollege aus
Deutschland, der mit dem Gedanken spielt, sich auf der Insel eine
Existenz aufzubauen, sieht zwar in jedem Touristen einen Patienten.
Dem ist aber definitiv nicht so.”
Auch MM-Mitarbeiter Dr. Dieter Uckermann schätzt die Situation
der deutschen Ärzteschaft auf Mallorca als „nicht rosig” ein. Eine
Besserung sei nicht in Sicht. „Es gibt immer mehr Ärzte, aber nicht
mehr Deutsche, die auf die Insel ziehen”, so der Allgemeinmediziner
und Chirurg, der sich 1988 in Palma niederließ. Auch haben nur ein
Drittel der hier arbeitenden Deutschen eine private
Zusatzversicherung, die die Leistungen der ausschließlich privat
tätigen deutschen Ärzte abdeckt, so Uckermann.
Das immense Ärzteangebot könne auch für die Patienten
nachteilige Auswirkungen haben. Patientenmangel, erklärt Uckermann,
kann möglicherweise dazu führen, dass eine ganze Reihe von
Untersuchungen durchgeführt und natürlich auch berechnet werden,
die nicht nötig sind. Ein simpler Schnupfen könne dann leicht in
einen Totalcheck ausarten, denn auch die teuren Apparate wollen
bezahlt sein.
„Hier wird auf keinen gewartet”, weiß auch Dr. Ulrich Rosen zu
berichten. 1996 gründete der Gynäkologe zusammen mit vier weiteren
Medizinern das erste deutsche Ärztehaus in Palma. „Mallorca ist
einerseits ein schweres Pflaster, andererseits habe ich hier aber
auch die Möglichkeit, die Medizin zu machen, die ich möchte”, davon
ist Rosen überzeugt. „Und wenn ich der Meinung bin, dass es für
einen Patienten das Beste ist, sich einer Behandlung in Deutschland
zu unterziehen, dann werde ich ihm das nahe legen. Ich kann nur das
guten Gewissens empfehlen, was ich auch bei meiner Familie machen
würde”, so Rosen.
Eines der Hauptprobleme sieht der Gynäkologe in der sozialen
Unsicherheit der Branche. „Ich kann die Zukunft nicht abschätzen,
weiß nicht, was in zwei Jahren ist.” Derzeit arbeiten im Ärztehaus
Palma vier Ärzte, eine Hebamme und ein Physiotherapeut. Spätestens
ab dem ersten Januar des kommenden Jahres wird noch ein
Allgemeinmediziner das Team verstärken. „Einzelkämpfer tun sich
schwer”, so Rosen.
Das scheint auch der Trend in den Ballungszentren Mallorcas zu
bestätigen. Mehrere große Ärztezentren haben in den vergangenen
Jahren eröffnet. Das jüngste, die „Clinica Picasso”, besteht erst
seit dem 1. Juli dieses Jahres. Die sieben dort integrierten Ärzte
aus sechs verschiedenen Fachrichtungen sind davon überzeugt, dass
sich langfristig Ärztezentren durchsetzen werden, auch wenn die
Zahl der auf der Insel lebenden Deutschen zurückgeht. Der
Optimismus des jungen Teams stützt sich neben dem Vertrauen in die
eigenen Fähigkeiten auch auf die geplante Ausrichtung auf den
englischen und spanischen Markt, den Mallorca zu bieten hat.
„Man muss sich mehr integrieren und für alles offen sein.
Qualität zu einem moderaten und vor allem transparenten Preis
anbieten, ist die einzige Möglichkeit, sich in dem hart umkämpften
Terrain zu behaupten”, davon ist der Internist und Kardiologe Dr.
Luai Chadid überzeugt. Der 40-jährige ehemalige Oberarzt der
Charité in Berlin sieht in dem Verbund neben den ökonomischen
Vorteilen den interdisziplären Austausch unter den Kollegen als
großes Plus für seine Patienten.
Auch für Dr. Oliver Haak, einem der beiden Kinderärzte der
„Clinica Picasso”, ist das Konzept der Ärztegemeinschaft ein
wirksames Mittel, sich mit einer Medizin, die individuell auf den
einzelnen Patienten zugeschnitten werde, durchzusetzen. „Nicht
jeder, der ein Mickey-Mouse-Pflaster aufkleben kann, ist auch
Kinderarzt.”
Dr. Rainer Büngeler startete 1988 seine medizinische Karriere
auf Mallorca. Nach sechsjährigem Einzelkämpferdasein gründete der
Allgemeinmediziner 1994 das Deutsche Facharztzentrum in Peguera.
„Bis zur Rente hätte ich das nicht durchgehalten.” Heute arbeiten
insgesamt sechs Doktoren in der Praxisgemeinschaft.
Büngeler beklagt vor allem die Abrechnungsmethoden und die nach
wie vor existierenden Schmiergeldleistungen bei der Vermittlung von
Patienten. „Ob Hotelportier, Reiseleiter oder Hafenmeister, alle
halten die Hand auf, wenn sie einen Arzt rufen. Aber da mache ich
nicht mit. Früher wurde ich von bestimmten Gruppen der
Tourismusindustrie deswegen regelrecht boykottiert,” fasst der
53-Jährige seine Erfahrungen zusammen.
Allein durch die Überweisung von Patienten an die eine oder
andere Klinik könnte ein Arzt leben, ohne auch nur einen Handschlag
getan zu haben, so Büngeler. Auch in Sachen Abrechnung gebe es noch
viel Handlungsbedarf. Die wenigsten Kollegen hielten sich an die in
der deutschen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) festgelegten Summen,
die einem Privatarzt, im Gegensatz zum Kassenkollegen den 2'3 bis
3'5-fachen Satz für seine erbrachte Leistung zubilligen.
Im Prinzip, so Büngeler, kann jeder Arzt verlangen, was er will.
In den vergangenen 15 Jahren sei die GOÄ allerdings nur um gut drei
Prozent angehoben worden. Sollten die Sätze in naher Zukunft nicht
aufgestockt werden, müsse man sich überlegen, ob dies noch
wirtschaftlich tragbar ist. „Wir wollen jedenfalls solange wie
möglich an der GOÄ festhalten.”
Mallorcas größte Praxisgemeinschaft ist zweifellos das
Internationale Facharztzentrum Palma. 1300 Quadratmeter auf drei
halben Etagen in bester Lage am Paseo Marítimo machen nicht nur
optisch etwas her. Seit 1997 wurde von ursprünglich drei Fachärzten
kontinuierlich aufgestockt und expandiert. Heute teilen sich zwölf
Spezialisten Räume, Infrastruktur und Personal. „Wenn sich die
einzelnen Mitglieder verstehen, ist das eine gute Lösung”, davon
ist Gründungsmitglied Dr. Andreas Overbeck überzeugt.
„Mit dem Facharztzentrum Palma”, erklärt der Chirurg, „wurde
eine Lücke geschlossen, die den Heimflug zur Behandlung nach Hause
überflüssig macht.” Dass gute Leistung auch angemessen honoriert
werden muss, daraus macht Overbeck keinen Hehl. „Man könnte
manchmal den Eindruck bekommen, dass einem fehlende Moral
unterstellt wird, wenn man für seine Arbeit Geld verlangt.”
Dr. Heike Jung arbeitet nicht in einem Arztzentrum. Nicht mehr.
Nach dreijähriger Tätigkeit wagte die 39-jährige
Allgemeinmedizinerin Mitte August den Sprung in die
Selbstständigkeit. Seitdem pendelt sie von ihrer kleinen Praxis in
Port d'Andratx zur zweiten in El Toro. In beiden Siedlungen gab es
noch keinen deutschen Mediziner.
„Auch wenn Ärztezentren den Eindruck von Kompetenz vermittelten,
der klassische Hausarzt ist wichtig, wie eh und jeh.” Vor allem die
Älteren seien froh, jemanden unmittelbar vor Ort zu haben. Dass
ihre Entscheidung mit einem hohen unternehmerischen Risiko
verbunden ist, weiß Heike Jung genau.
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