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Am 11. September vor einem Jahr hielt die Welt den Atem an, und nach den Anschlägen auf die Zwillingstürme des Welthandelszentrums in New York schien es manchem gar, das jüngste Gericht sei nah. Allein, die Zeit ging weiter, und selbst für die Angehörigen der 3056 Opfer, die in den atomisierten Wolkenkratzern und zerschellten Passagierflugzeugen zu Tode kamen, setzte das Leben ungeachtet all des persönlichen Leids, der Schmerzen und Verzweiflung seinen Lauf fort.

Das tausendfache Drama jener Menschen, die ihr Leben, ihre Partner, Kinder oder Eltern verloren, ist seit dem unglückseligen Datum immer wieder in Worte gefasst, in Medienberichten, auf Film– und Fotoaufnahmen festgehalten worden; und dennoch lässt sich die Grauenhaftigkeit der Terroranschläge letztlich in Zeilen und Zahlen nicht erfassen. Wer Augen hatte, um zu sehen, erahnte bald, dass die Welt seit dem 11. September 2001 nicht mehr dieselbe war wie zuvor.

Die Koordinaten des eigenen Selbstverständnisses hatten sich schlagartig verschoben. Das gilt für Amerikaner wie Europäer sowie letztlich für jeden Bewohner auf diesem Globus.

Nach wie vor leben auf den Inseln rund 2000 Amerikaner. Aus einem diffusen Unsicherheitsgefühl heraus seien, so Bestard, keine US-Bürger in ihre Heimat zurückgekehrt. Dass die US-Behörden aber jederzeit mit weiteren Attentaten, Entführungen und gefährlichen Situationen rechnen, ist selbst in Palma zu spüren. Am Informationskasten des Konsulats hängt ein Aufruf der US-Regierung, mit dem die Staatsangehörigen zu „worldwide caution” (weltweiter Vorsicht) aufgerufen werden.

„Wir erinnern die amerikanischen Bürger daran, in Bezug auf ihre persönliche Sicherheit wachsam zu bleiben und höchste Vorsicht walten zu lassen.” Das US-Konsulat in Palmas Einkaufsstraße Jaume III. wird nach wie vor von Polizisten bewacht. Wenn auch nicht mehr in einer derart massiven Präsenz wie unmittelbar nach den Anschlägen, als neben einem Einsatzwagen stets zwei bis drei Mann mit Pumpguns im Anschlag vor dem Gebäudeeingang postiert waren.

„Es ist nicht das Konsulat, das die Polizei angefordert hat. Das wird zentral von der US-Botschaft in Madrid gesteuert”, sagt Bestard. Infolge der Anschläge haben die diplomatischen Vertretungen ihre Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Jeder Einreise– und Visa-Antrag für die USA werde penibel überprüft. „Früher dauerte so ein Prozess einige wenige Tage, heute werden für die Bearbeitung eines Besuchervisums sechs bis sieben Wochen benötigt.”

Nachdem die Bilder von den brennenden und in sich zusammenstürzenden Wolkenkratzern um die Welt gegangen waren, sagte Mallorcas Inselratspräsidentin Maria Antònia Munar die Feiern anlässlich der Eroberung der Insel durch König Jaume I. ab. Die anberaumte Versammlung in der Kathedrale in Palma wurde zu einem Gedenkgottesdienst für die Opfer in den USA umgewandelt. Im Vergleich zu Deutschland gingen die Menschen auf den Balearen danach relativ rasch zur Tagesordnung über.

Das bedeutete jedoch nicht, dass sie einen geringeren Anteil an den tragischen Ereignissen nahmen. Die Bewältigung der Eindrücke erfolgte vielmehr im Stillen. Wann immer jedoch ein prominenter Mallorquiner, wie etwa vor kurzem der Tennisprofi Carlos Moyà, den Ground Zero besichtigte, war das den balearischen Zeitungen ein Bericht wert.

„Das, was in New York passiert ist, war ein Hinweis, eine Ankündigung von dem, was erst noch kommen wird”, meint im Rückblick Francesc Bujosa. Der mallorquinische Geschichtsprofessor hatte 24 Stunden vor dem Attentat als Tourist auf dem Dach des World Trade Centers gestanden. Da die Museen am Montag geschlossen hatten, hatte er die Aussicht vom Wolkenkratzer genossen. „Das Ereignis zeigt aber auch, dass all diejenigen Nationen, die heute von Diktaturen beherrscht werden, einzig den Weg der Freiheit und der Demokratie beschreiten können, wenn sie prosperieren wollen.”

Das verstärkte Zusammengehörigkeitsgefühl unter den US-Bürgern hat auch der Vize-Präsident des Truppenbetreuungsvereins US-Navy League auf Mallorca, Tim C. Klein, beobachtet. „Der 11. September und seine Folgen sind immer Gesprächsthema, wenn Amerikaner zusammenkommen.” Das Empfinden einer Einheit untereinander sei selbst dann gegeben, wenn unterschiedliche Auffassungen aufeinanderträfen. „Die einen sagen, der Angriff wurde als Vorwand benutzt, um die bürgerlichen Freiheiten einzuschränken. Andere wiederum behaupten, dies sei angesichts der Bedrohung zwangsläufig gewesen.”

Der seit zehn Jahren auf Mallorca lebende Texaner Rodolfo Sáenz betrachtet den 11. September mit all seinen wirtschaftlichen Folgen als weitreichenden, vielleicht sogar als den weitreichendsten Wendepunkt unserer Zeit. „Die Anschläge haben gezeigt, dass man zu jeder Zeit mit allem zu rechnen hat. Eine Trennung zwischen unserer Wirklichkeit und der in Hollywoodfilmen war nicht mehr möglich.”

Eine deutlich kritische Position zum Vorgehen der USA nach dem 11. September bezieht die deutschstämmige Amerikanerin Gabi Charren. Der Anschlag sei durch nichts zu rechtfertigen. Aber die Motive dahinter haben nach ihren Worten nichts mit Religion zu tun, sondern seien das Ergebnis der ungerechten Verteilung von Reichtum in der Welt. Bei dem drohenden Einmarsch in den Irak gehe es der Regierung Bush einzig um die Ölquellen. „Wir fördern das, was uns gerade in den Nacken geschlagen hat.”