Mallorca – das bedeutet sorgloses Leben im sonnigen Süden, das
bedeutet wunderschöne Landschaft, das bedeutet Ausgehen, Nightlife
und Luxus. In einem Wort: Lebensqualität. Doch das gilt längst
nicht für alle. Der deutsche Konsul auf Mallorca, Peter–Christian
Haucke: ,,Es gibt viel soziales Elend hinter der schönen Fassade.
Und die Tendenz ist steigend.”
Er erzählt von Frau P. (alle Namen wurden von der Redaktion
geändert), die alleine in Capdepera lebte. Deutsche Nachbarn riefen
ihn an und erklärten, dass sie sich schon lange nicht mehr selbst
versorgen konnte, dass sie regelrecht verkam, aber niemand Notiz
davon nahm.
Herr X. wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, war ohne
Versicherung, musste dringend operiert werden. Angehörige gab es
nicht. Wie also das Problem lösen?
Es gibt zahllose Fälle dieser Art. ,,Diese Menschen kamen vor 30
bis 40 Jahren auf die Insel, bezogen meist schon eine Rente”, sagt
Haucke. ,,Sie haben, bedingt durch die damals noch günstigen
Lebenshaltungskosten, recht gut gelebt, haben es sich auf ihre
bescheidene Weise gut gehen lassen. Sie haben sich mit anderen
Deutschen zusammen getan, in einer deutschen Enklave gelebt. Fast
niemals wurde von diesen Menschen die Residencia beantragt. Nach
und nach wurden die Kontakte nach Deutschland dürftiger, die
Freunde starben. Wenn so jemand pflegebedürftig wird, reicht das
Geld meist nicht aus.”
Selbst wenn Kinder da sind, gibt es oft wenig Verbindung zu den
Eltern. Was im Klartext heißt, dass die Kinder ihre Eltern kaum je
unterstützen wollen: ,,Man kann sie nicht dazu zwingen”, sagt
Haucke.
Die Rückkehr nach Deutschland, um dort wieder ins soziale Gefüge
eingegliedert zu werden, ist zwar oft die einzige Lösung, aber sie
gestaltet sich schwierig. Der Konsul: ,,Deutschland ist diesen
Menschen einfach sehr fremd geworden.”
Zwischen 50.000 und 70.000 Deutsche leben auf Mallorca. Davon
sind ungefähr 15.000 Rentner über 60 Jahre. 10.000 Deutsche auf
Mallorca haben Residencia, etwa 3000 davon sind ältere Menschen.
Das bedeutet: ,,Vier Fünftel aller älteren Deutschen auf Mallorca
sind nicht in das spanische Sozialnetz integriert, sondern haben
nur in Deutschland Ansprüche.”
Rund 1600 Personen ha-ben im Jahr 2000 telefonisch oder
persönlich im Deutschen Konsulat Hilfe in finanzieller Notlage
gesucht. Rein rechtlich ist das Konsulat in diesen Fällen
weitgehend machtlos, denn: ,,Paragraph 5 des Konsulargesetzes
gestattet allerhöchstens, ein Rückflugticket zu finanzieren”,
erklärt Haucke, fügt aber sofort hinzu: ,,Wir haben aber auch
Verantwortung, die wir annehmen.” Er weiß, dass er nur vermittelnde
Hilfe anbieten kann. Das bedeutet zu recherchieren, ob es noch
Angehörige gibt, Kontakte zu sozialen Einrichtungen in Deutschland
zu schaffen, Überbrückungsmöglichkeiten vor Ort zu finden.
Haucke ergänzt: ,,Wir können nicht an die Front gehen, wir haben
dafür einfach kein Personal.” Doch es sind keineswegs nur ältere
Menschen, die in Not geraten. Herr R. hatte ein gut gehendes
Unternehmen in Deutschland verkauft und sich mit seiner sehr viel
jüngeren Frau hier eine Finca gekauft. Nach und nach wurde das Geld
weniger, er verkaufte die Finca, um sich mit dem Er-lös dort
einzumieten. Da er selbstständig war, hatte er keine
Rentenansprüche. Als schließlich die Räumungsklage kam, hatte er
seiner Ehefrau die finanzielle Misere immer noch nicht
gestanden.
Die 17-Jährige Nancy rief für ihren Vater an, der nach einem
Arbeitsunfall ohne Einkommen war. Sie konnten die Miete nicht mehr
bezahlen. Nancys dringende Bitte: ,,Reden Sie bitte mit dem
Vermieter.”
Kein Fall gleicht dem anderen. Doch eines ist fast allen
gemeinsam: die Un-terschätzung, dass man sich auch hier sozial und
vertraglich absichern muss. Doch Hilfe ist nötig. Haucke: ,,Wir
müssen ein Instrumentarium finden, um diese Hilfe leisten, um vor
Ort arbeiten zu können.”
Bislang arbeitet das Konsulat mit den deutschsprachigen Kirchen
zusammen, mit dem Sozial– und Kulturverein in Calvià. Lobend
erwähnt er das oft unbürokratische Engagement der spanischen
Sozialbehörden und das steigende Interesse der balearischen
Landesregierung sowie der Gemeinden an diesen sozialen
Problemen.
,,Mit Aufmerksamkeit und Interesse habe ich die Gründung der
Associació Alemanya i Mallorquina mit ihren neuen Präsidenten Horst
Abel und Josep Moll Marquès verfolgt. Es wäre gut, wenn sich der
Verband auch sozialen Belangen widmen würde.”
Haucke erinnert daran, dass es viele Menschen auf Mallorca gibt,
die ,,gut leben, aber keine Aufgabe haben. Zur Zeit formiert sich
eine Gruppe, die Spenden sammeln will, um finanziell auszuhelfen
oder sogar einen Sozialarbeiter einzustellen.”
Im Konsulat selbst arbeitet inzwischen schon eine Person mehr,
die sich auch um Sozialfälle zu kümmern wird. Haucke baut aber vor
allem auf die Zukunft: ,,Es leben 600.000 Deutsche in Spanien, aber
nur 100.000 Spanier in Deutschland. Wenn eines Tages die Residencia
wegfällt, muss ein Notfall im jeweiligen Lande betreut werden.”
Was immer dringender wird. Denn kaum jemand kalkuliert bei einer
Übersiedlung realistisch ein, dass Mallorca die höchsten
Lebenshaltungskosten in Spanien hat.
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