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MM: Vor fünf Wochen erfolgten die verheerenden Terrorattacken in den USA. Haben die Ereignisse die Menschen auf der Sonneninsel Ihrem Eindruck nach stark beschäftigt?
Kramer: Es war schon festzustellen: Nach dem 11. September war ein Bedürfnis nach Gedenkveranstaltungen und Gottesdiensten da. Das hat man auch an der Messe etwa in der Kathedrale in Palma gesehen. Zwei Tage nach den Terroranschlägen begann das Schuljahr in der Deutschen Schule in Magaluf mit einem kleinen Fest. Ich bat dort alle Anwesenden, eine Schweigeminute für die Opfer in den USA einzuhalten. Hinterher erzählten mir einige junge Eltern, wie sehr sie diesen gemeinsamen Ausdruck der Anteilnahme als wohltuend empfunden haben.

MM: Wie haben die Menschen in Ihren Augen auf den Terror reagiert?
Kramer: Gerade in Einzelgesprächen zeigen sich die Sorgen und Befürchtungen der Menschen. Aber es war nicht so, dass mich etwa nachts von Panik erfüllte Menschen angerufen hätten. In den Wochen vor dem Rückschlag war die drängendste Sorge: „Was wird jetzt sein?” Ich registriere aber sehr oft auch Zustimmung, dass die USA sich wehren müssen. Nach den erfolgten Angriffen auf Afghanistan hoffen viele auf ein baldiges Ende der kriegerischen Auseinandersetzung sowie auf eine politisch-diplomatische Lösung auf dem Weg der Humanität.

MM: Sie haben ja nicht nur mit Residenten, sondern auch mit Touristen Kontakt. Welchen Eindruck haben Sie da?
Kramer: Es kommt vor, dass mir Menschen erzählen, sie seien aufgrund der Ereignisse von Ihrer Urlaubsplanung abgerückt. Statt zu Fernzielen reisten sie nach Mallorca, weil das nicht so weit weg von zu Hause liege. Mallorca scheint etwas Sicheres zu sein.

MM: Wie beurteilen Sie die Entwicklung aus kirchlicher Sicht?
Kramer: Ich frage mich oft, in welchen Ängsten leben wir jetzt?! Gleichzeitig vertraue ich darauf, dass wenn wir schon auf das Gebet bauen und Zuflucht nehmen zu einer anderen Allmacht, ein friedlicher Weg zu finden ist. Die Kirche hat ja von ihrem christlichen Verständnis her die Einstellung, den „unteren” Weg zu gehen, also etwa kein sofortiger Gegenschlag. Gerechtigkeit wird gefordert. Aber im Sinne der Bergpredigt heißt es auch: „Liebet Eure Feinde”.

MM: Seit Ihrer offiziellen Einführung auf Mallorca an Pfingsten sind knapp fünf Monate vergangen. Wie bewerten Sie diese Zeit?
Kramer: Was mich am meisten überrascht hat, ist, in welche Unruhe ich hineingeraten bin. Ich war zuletzt als Seelsorger in einem Krankenhaus tätig. Bevor ich auf die Insel kam, dachte ich, meine Arbeit wird vor allem durch Gottesdienste und Beratungsgespräche bestimmt sein.

MM: Dem ist nun nicht so?
Kramer: Doch, aber die Insel hat ihre Größe. Und die Standbeine sind katholischerseits sehr dünn, wie ich feststellen musste. Ich hielt Mallorca zunächst für einen zwar großen Acker, der jedoch zu bearbeiten ist. Das übersteigt aber die Kraft eines Einzelnen.

MM: Wie gestaltete sich Ihre bisherige Arbeit?
Kramer: Bedingt durch die Sommermonate habe ich bislang hauptsächlich mit Touristen zu tun gehabt. Wenn ich an der Playa de Palma von meiner Wohnung die zehn Minuten zum Katholischen Zentrum laufe, ergeben sich auf der Straße immer zwei bis drei Gespräche mit deutschsprachigen Urlaubern. Die meisten wissen gar nicht, dass es uns hier gibt. Da können wir noch viel tun.

MM: Was meinen Sie damit konkret?
Kramer: Ich habe etwa die Reiseveranstalter gebeten, ihre Kunden stärker auf die kirchlichen Angebote auf der Insel aufmerksam zu machen. Daneben habe ich in einer ersten Auflage 5000 Faltblättchen mit Informationen zu den Gottesdiensten drucken lassen, die nun in Hotels sowie Touristenbüros ausliegen.

MM: Ist noch mehr angedacht?
Kramer: Also, ich bin noch auf der Suche nach einer Firma, die Hinweisschilder aus Leuchtröhren herstellt. Die Leuchtreklamen an der Playa de Palma haben mich auf die Idee gebracht. Unser Gemeindezentrum Sankt Michael könnte etwas mehr Leuchtkraft gut gebrauchen. Daneben schwebt mir so eine Art Kontakt-Café vor, wo man sich in Ruhe austauschen könnte. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

MM: Apropos Playa de Palma. Wie erleben Sie das Treiben in der berüchtigten Ballermann-Zone?
Kramer: Eigentlich ist es schon erschreckend. Vor allem, wenn ich die ganz jungen Leute, so 16 aufwärts, sehe. Mit einem doch sehr starken Alkoholkonsum, schon am Nachmittag. Menschen, mit keinen anderen Interessen als, wie man so platt sagt, die Sau herauszulassen.

MM: Wie erklären Sie sich das?
Kramer: Das ist ein Zeichen großer Perspektivlosigkeit. Die Leute scheinen in ganz anderen Wertvorstellungen zu leben. Ich bedauere sehr diesen Exzess, diese Würdelosigkeit. Die Menschen tun mir leid.

MM: Sie suchen die „Ballermänner” selbst auf?
Kramer: Ja, ich trinke dort auch schon einmal ein Bier und spreche die Leute an. Dann gibt es einen großen Überraschungseffekt. „Was?! Ein katholischer Pfarrer?! Hier?!”, heißt es oft. Aber tiefergehende Gespräche sind kaum möglich.

MM: Übermäßiger Alkoholkonsum ist nicht die einzige Klage an der Playa de Palma.
Kramer: Nein. Zu später Stunde kommt hinzu, was ich nicht miterlebe: Prostitution, Gewalt, Kriminalität, Hütchenspiele. Ich finde das erschreckend, bin aber auch ratlos. Was soll man da machen?

MM: Wie gestaltet sich das Verhältnis zu den Residenten?
Kramer: Zu ihnen gibt es gute Kontaktmöglichkeiten etwa über die Hochzeiten. Bei der letzten Trauung konnte ich gleich drei „Nachbestellungen” verbuchen. Überhaupt verstehe ich meine Arbeit als Seelsorge, die auf die Menschen zugeht. Es soll nicht nach dem Motto funktionieren: „Ich bin hier. Ihr könnt ja kommen.”

MM: Hochzeiten, das ist die positive Seite. Doch wie steht es um die zunehmende Zahl an deutschen Obdachlosen und sonstigen Sozialfällen?
Kramer: Es kommt vor, dass jemand an der Tür des Pfarrers klingelt und sagt, „Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr gegessen.” Da ist dann zunächst alles andere nicht mehr von Interesse. Auf das anschließende Angebot, in einem tiefergehenden Gespräch nach Lösungen zu suchen, erhalte ich aber meist keine Resonanz. Umfassende Hilfe ist jedoch nur mit entsprechenden Mitarbeitern möglich.

MM: Wie schätzen Sie den Bedarf ein?
Kramer: Ehrenamtliche Mitarbeit ist bitter nötig, insbesondere für eine bessere Betreuung der so genannten „vereinsamten Alten”. Aber hier habe ich noch keinen Aufhänger gefunden, wie man das Problem inselweit wirkungsvoll angehen könnte.

MM: Gibt es schon Interessenten, die ihre Mitarbeit anbieten?
Kramer: Die Türen sind mir bislang nicht eingerannt worden. Allerdings steht eine kirchliche Fachkraft in Aussicht: Im Oktober kommt eine junge Frau, die im Raum Luxemburg auf Campingplätzen als Urlauberseelsorgerin sowie als Familienberaterin tätig ist. Sie bleibt sechs Monate auf Mallorca.

MM: Ihrem Vorgänger Nicolas Bosshard war nach Unstimmigkeiten in der Gemeinde der Arbeitsvertrag nicht verlängert worden. Kommen Sie besser an?
Kramer: Also, dazu kann ich gar nichts sagen. Viele Residenten kennen mich noch nicht, die Versammlungen beginnen erst jetzt zur Wintersaison. Ich habe noch keine große Rückmeldungen, doch oft heißt es: „Wir sind froh, dass Sie hier sind!”

MM: Welchen Einfluss hat die Insellage auf ihr Privatleben?
Kramer: Ich wohne ganz nah am Strand und nutze das Meer, um mich fit zu halten. Auch heute war ich lange schwimmen. Ob ich das den ganzen Winter durchhalte, weiß ich nicht, aber noch bin ich dabei.

MM: Sie sind jetzt 66 Jahre alt. Denkt man da schon an den Ruhestand?
Kramer: Im Prinzip gibt es für einen Seelsorger kaum eine Begrenzung. Von der Kirchenleitung aus sollen Pfarrer bis zum 70. Lebensjahr arbeiten. Wer will, kann bis 75 weitermachen. Bis dahin ist es, so Gott will, noch ein Weilchen hin.

Mit Pfarrer Msgr. Robert Kramer sprachen Bernd Jogalla und Alexander Sepasgosarian.

ZUR PERSON:
Pfarrer Robert Kramer ist seit Pfingsten das katholische Oberhaupt der deutschsprachigen Kirchengemeinde auf Mallorca. Der gelernte Dekorateur aus dem Rheinland erhielt 1967 die Priesterweihe. Später war der Monsignore, so der offzielle Kirchentitel des Pfarrers, neun Jahre lang als Kaplan in Köln tätig. Nahezu ein Jahrzent leitete der Geistliche zudem die katholische Hochschulgemeinde der Universität Bonn.

Auslandserfahrungen sammelte Robert Kramer als Urlaubsvertretung in deutschsprachigen Gemeinden in Portugal und Ekuador. Auf einem Kreuzfahrtschiff war der Priester zudem kurze Zeit in der Urlauberseelsorge aktiv. Mit dem Hirtenamt auf Mallorca ist für Kramer ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Von Anbeginn seiner Laufbahn an hatte er stets seine Bereitschaft zum Dienst im Ausland signalisiert.