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Die letzte Ausgabe des Mallorca Magazin lag am vergangenen Freitag erst wenige Stunden am Kiosk, da klingelte in der Redaktion das Telefon. „Der auf Cabrera begrabene Flieger ist mein Onkel”, sagte eine Frauenstimme. Christel Jungclaus hatte den Artikel über den im Zweiten Weltkrieg bei Cabrera abgestürzten deutschen Kampfbomber gelesen. Damals kamen drei der vier Besatzungsmitglieder ums Leben. Einer der Flieger, der knapp 21 Jahre alte Bordfunker Johannes Böckler, war elf Stunden nach dem Absturz am 1. April 1944 tot aus dem Meer geborgen und auf dem winzigen Friedhof auf Cabrera, der kleinen Felsen-Insel vor Mallorcas Südküste, bestattet worden (MM 34/2001). Wie es der Zufall will: Christel Jungclaus lebt seit zwei Jahren auf Mallorca. Auf Cabrera war sie nie. Ein Besuch dort sei nun fest geplant.

„Mein Mann hatte die Zeitung mitgebracht”, beschreibt Christel Jungclaus die Situation ein paar Tage später im Gespräch auf der Terrasse ihres Hauses an der Südwestküste Mallorcas. „Ich hatte zuerst gedacht, es handelt sich bestimmt nicht um meinen Onkel, doch dann las ich den Namen und musste schlucken. Ich bekam richtig Gänsehaut.”

Christel Jungclaus, Jahrgang 1950, wusste von Kindheit an, dass der ältere Bruder ihrer Mutter in Spanien bei Cabrera gefallen war. Ein Porträt des Onkels in Uniform und mit Fliegermütze hängt noch heute im Wohnzimmer der Mutter im hessischen Mölln, einem winzigen Dorf bei Marburg. Innerhalb der Familie sei kaum über den Krieg und Onkel Johannes gesprochen worden. „Das ist eine Region, in der man nicht viel Worte macht.”

Die Familie hatte lange in dem Glauben gelebt, das Flugzeug sei abgeschossen worden. Tatsächlich aber offenbart ein Brief des vor kurzem gestorbenen Piloten, dass die Maschine wegen Motorschadens „ohne Feindeinwirkung” abstürzte.

Nach Jungclaus Worten lernte Johannes Böckler erst Verkäufer, dann Zimmermann. 1943 meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe. Vater Gotthardt Böckler, ein Straßenpflasterer, war darüber nicht glücklich. Die Mutter Böcklers soll zeitgleich mit dem Absturz des Fliegers eine Todesahnung gehabt haben, die sich später bestätigte. „Es gab keinen konkreten Gedenktag in unserer Familie, aber Johannes war nie vergessen.”

Und dann zieht Christel Jungclaus ein Album mit alten Familienfotos hervor und zeigt auf das vergilbte Bild eines jungen Mannes in Uniform: „Das ist Johannes Böckler.”

Ein Foto daneben zeigt eine junge Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm hält: Maria Böckler, die Frau des Gefallenen. Die Trauung wurde erst nach seinem Tod vollzogen. Eine Fliegermütze ersetzte den Bräutigam im Standesamt. „Nachtrauungen” dieser Art standen damals auf der Tagesordnung. Das Kind auf dem Foto ist Johannes Böckler Junior. Der 56-Jährige lebt heute in Kanada.

„Es waren alle Papiere zur Hochzeit vorbereitet. Er hatte nur noch einen Flugeinsatz, dann wäre er auf Heimaturlaub gekommen”, erinnert sich die Österreicherin Maria Böckler (79) am Telefon. Die Nachricht vom Tod ihres Geliebten war für die schwangere Frau „schrecklich, furchtbar”.

Noch heute zündet sie alljährlich ein Gedenklicht für den Toten an. „Die Zeit heilt die Wunden, aber man denkt schon noch dran.” Johannes sei „ein lustiger, ein guter Kerl” gewesen. War er stolz darauf, bei den Fliegern zu sein? „Ja, aber ganz zum Schluss hatte er keine Freude mehr daran”, denkt Maria Böckler an das letzte gemeinsame Treffen zurück. Und an den Abschied, der für immer war. „Er ist sehr schwer gegangen.”