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Toni dreht sein Tablett in der Hand und blickt über die Sonnenschirm-bestandene Promenade von Can Picafort. Dahinter stapeln sich am Strand die Liegestühle. ,,Das sieht doch jeder, dass dieses Jahr schlecht läuft”, sagt der Kellner der Cafeteria Viena, ,,früher war hier jede Liege belegt. Jetzt sieht das doch aus wie im Oktober.” Wenige Kilometer weiter südöstlich wischt sein Kollege David zum x-ten Mal die freien Tische im Balneario Passeig de la Mar von Cala Millor: ,,Im letzten Jahr haben wir hier viel Geld verdient. Jetzt langweilen wir uns.” ,,Manche haben sogar freie Tage gekriegt, weil nichts los ist”, sagt Nadia, Barfrau im Atlantis an der Uferpromenade in Cala Rajada. Beim Frühstück für Nachtschwärmer, das ab sechs Uhr auf die Tische kommt, finden sich in diesem Jahr nur halb soviele Leute ein wie in der letzten Saison. ,,Ein Gutes hat das”, sagt Nadia, ,,ich wohne hier nebenan und kann endlich nachts wieder schlafen.”

In den Zentren des deutschen Pauschaltourismus im Norden und Nordosten Mallorcas herrscht bei vielen Geschäftsleuten Katzenjammer. Wo sind nur die Deutschen geblieben? Und wo geben jene ihr Geld aus, die nach den Zahlen des balearischen Tourismusministeriums doch nach Mallorca gereist sind?

Die Stimmung bei vielen Kneipiers, Souvenirverkäufern und Ausflugsanbietern ist viel schlechter, als es der statistisch festgestellte Rückgang der deutschen Touristen um 4'3 Prozent gegenüber der ersten Hälfte des Rekordjahres 1999 rechtfertigen würde. Immer noch 1'5 Millionen Deutsche besuchten Mallorca, die allerdings laut Neckermanns Mallorca-Chef Harald Oberkirch kürzer blieben als 1999.

Es jammern nicht alle. Eine Deutsche, die am Hafen von Cala Rajada einen Laden für Schmuck und trendige Souvenirs betreibt, spottet über ihre Kollegen: ,,Die sollten vielleicht mal ein paar neue Sachen ins Sortiment nehmen, dann kaufen die Leute auch.” Nach Cala Rajada kommen viele junge Urlauber, da müsse man sich anpassen.

Klagen hin, jammern her: Von einem 30-prozentigen Rückgang der Gästezahlen auf Mallorca, wie ihn etwa die ,,Welt” vermeldete, kann wirklich nirgendwo die Rede sein. Auch wenn Touristiker einräumen, dass die Reiseveranstalter zwar in einzelnen Hotels die Betten reserviert und bezahlt hätten, sie aber nicht durch Gäste belegt seien.

Aber ab Mitte Juli war die ruhigere Zeit vorbei. Die Beobachtung vieler Geschäftsleute, dass am zweiten Juli-Wochenende viele ,,Blancos” – frische, noch weiße Urlauber – angekommen seien, wurde bestätigt: 91'7 Prozent Hotelbelegung vermeldete am Donnerstag Tourismusminister Celestí Alomar (PSOE): ,,Die Statistik zeigt, dass wir in einem guten Jahr sind und nicht von Krise sprechen können.” Den Eindruck der Geschäftsleute ließ er nicht gelten: ,,Wir lassen uns nicht von Eindrücken leiten, sondern von Zahlen”, betonte der Sozialist.
Dass es mit der allerorten als ,,seltsam” beschriebenen Saison 2000 weiter aufwärts geht, meldet der Flughafen: Für die Woche vom 21. bis 27. Juli sind mit 590.000 Passagieren 2'66 Prozent mehr Fluggäste angekündigt als im vergleichbaren Zeitraum des Boom-Jahres 1999.

Auch auf dem Arbeitsmarkt keine Spur von Krise: Nach Daten der Sozialversicherung im Juni waren erstmals mehr als 50.000 Menschen in der balearischen Hotellerie beschäftigt. Zusammen mit den Restaurants stehen im Tourismus-Sektor insgesamt knapp 90.000 Menschen inLohn und Brot.

Minister Alomar ist angesichts dieser Daten auf jammernde Hoteliers, die Einbußen von bis zu 30 Prozent bei den deutschen Gästen vermeldet hatten, nicht gut zu sprechen. Man liegt ohnehin über Kreuz: Der mallorquinische Hoteliersverband FEHM sammelt nach Zeitungsberichten Geld bei seinen Mitgliedern, um eine Kampagne gegen die von der Regierung beschlossene Öko-Abgabe für Urlauber ab 2001 zu sammeln, die sie für den Urlauberrückgang mitverantwortlich machen. ,,Da sollen wohl die Hoteliers die Oppositionsarbeit der konservativen PP bezahlen”, vermutet der Minister.

Polemik beiseite: ,,Das Jahr hat sehr schwach angefangen”, sagt Linda Hesse aus dem Touristeninformationsbüro in Cala Rajada. Aber zum vergangenen Wochenende seien viele neue Urlauber angekommen, bestätigt sie den von der Regierung festgestellten Trend. Vor allem viele jüngere Gäste kämen aber ohne Zimmer: ,,Wir haben Schwierigkeiten, die alle unterzubringen.” ,,Wir sind fast voll”, heißt es auch von der Kollegin aus Can Picafort. Was dieses Jahr an Deutschen fehle, hätten spanische Gäste fast ausgeglichen. Und auch in Cala Millor will man in der städtischen Informationsstelle nicht in den Chor der Klagenden einfallen: ,,Die Appartements sind alle ausgebucht.” Probleme hätten aber vor allem die Hotels der Vier-Sterne-Kategorie. ,,Die Leute wollen eher billige Quartiere”, heißt es.
,,Die haben kein Geld”; sagt die Frau am Ticketstand des Aquabus in Cala Millor, der durch die Buchten der Ostküste schippert. Sie will viele Gäste gesichtet haben, die offenbar aus Osteuropa stammen. ,,Dabei sind unsere Bootsfahrten wirklich preiswert”, beteuert die Kassiererin. 4100 Pesetas kostet der Tagesausflug, inklusive Essen, Kinder fahren gratis.

Auch eine Reiseleiterin in Cala Millor hat große Zurückhaltung bei den Gästen festgestellt. ,,Da sitzt mir dann der Vater einer vierköpfigen Familie gegenüber und überlegt, ob er sich die 4500 Pesetas (52 Mark) für einen Tag Ford Ka leisten kann”, berichtet die junge Frau. Es könnte an den gestiegenen Benzinpreisen in der Heimat liegen, vermutet sie.