Tomeu Garí stammt aus Porreres und hat die Geschichte seines Dorfes erforscht. An der Wand hinter ihm wurde hingerichtet. | Patricia Lozano

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Nach jahrelangen Bemühungen wird in Porreres erstmals auf Mallorca ein Massengrab mit Hingerichteten aus dem Spanischen Bürgerkrieg geöffnet. MM führte wenige Tage vor der geplanten Öffnung des Massengrabes ein Interview mit dem Koordinator und Historiker in Porreres, Tomeu Garí. (Am Mittwochabend, 2. November, stießen Archäologen dann auf die ersten sterblichen Überreste.)

Mallorca Magazin: Was wird hier von kommender Woche an auf dem Friedhof von Porreres vor sich gehen?

Tomeu Garí: Ein ganzes Team von Spezialisten aus dem Baskenland wird hier eintreffen und sich in einer Grünzone des Friedhofs Schicht für Schicht in die Tiefe vorarbeiten. Das Team des Spezialunternehmens Aranzadi ist interdisziplinär aufgestellt: Es besteht aus Archäologen, Gerichtsmedizinern, Historikern. Aranzadi hat bereits diverse Ausgrabungsarbeiten dieser Art in ganz Spanien vorgenommen.

MM: Ist das Vorhaben in dieser Größenordnung das erste auf Mallorca?

Garí: Ja. Es wurde zwar 2014 erstmals ein Grab mit drei Hingerichteten aus dem Bürgerkrieg geöffnet. Das war in Sant Joan. Dort war die Grablage gut dokumentiert und es handelte sich bei drei Vermissten um eine lediglich kleine Grablage.

MM: Wie sicher sind Sie sich der Grablage in Porreres?

Garí: Wir wissen, dass hier viele Hingerichtete bei Nacht und Nebel verscharrt wurden, aber dokumentiert ist die Grablage nur in einem konkreten Fall: Ein Mann aus Manacor, den man am 21. September 1936 im Graben der Straße nach Felanitx erschossen auffand, wurde hier beerdigt. Die Lage wurde exakt verzeichnet. Konkret wird nach diesem einen Bürgerkriegsopfer gesucht, wobei sehr wohl mit weiteren Funden zu rechnen ist.

MM: Warum glauben Sie, dass an der Stelle weitere Bürgerkriegsopfer zu finden sein werden?

Garí: Wie gesagt, Dokumente existieren nicht, aber wir haben über die Jahre viele mündliche Überlieferungen von Zeitzeugen gesammelt. Sie alle verwiesen immer wieder auf jene Stelle der Grünzone des Friedhofs.

MM: Von welchen Dimensionen gehen Sie aus?

Garí: Wir konnten die Namen von 120 bis 130 Menschen zusammentragen, die hier an der Außenmauer der benachbarten Friedhofskirche von Parteiangehörigen der rechtsextremen Falange hingerichtet und dann auf dem Friedhof verscharrt wurden. Das sind Menschen, deren Schicksal wir aus einer Vielzahl mündlicher und schriftlicher Quellen herausarbeiten konnten. Es kann sein, dass wir auf diese Toten stoßen. Es können aber auch viel mehr sein. Oder viel weniger.

MM: Inwiefern weniger?

Garí: Der alte Friedhof von Porreres hatte einen weitgehend quadratischen Grundriss, mit vier durch einen Kreuzgang getrennten Rechtecken, die Grünzone waren. Hier wurden früher bei Bedarf arme oder ortsfremde Menschen zur letzten Ruhe gebettet, die kein eigenes Familiengrab oder keine Grabnische besaßen. Die Falange nutzte diese Flecken, um die Hingerichteten verschwinden zu lassen. 1956 wurden die Grünzone teilweise überbaut, in ihren Zentren errichtete man die heutigen Gebäude mit den diversen Grabnischen. Im Rahmen der damaligen Bauarbeiten sind eine Reihe von sterblichen Resten beseitigt worden.

MM: Wo wollen Sie exakt den Toten nachspüren?

Garí: Im Bereich der Grünzone, die heute noch existiert. Das Gebäude mit den Grabnischen selbst können wir nicht antasten, auch nicht deren Fundamente.

MM: Wie lange werden die Archäologen hier am graben sein? Wie viele sind es überhaupt?

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Garí: Es werden ein Dutzend Grabungsteilnehmer sein. Deren Leiter rechnet mit vier Wochen Arbeit. Untergebracht sind die Leute im Kloster Montesión, dort gibt es Schlafzellen, Speise- und Aufenthaltsräume. Derzeit sind wir dabei, die Versorgung der Archäologen mit Lebensmitteln zu organisieren.

MM: Was wird das alles kosten?

Garí: Es gibt einen Fonds in Höhe von 95.000 Euro. Das Geld stammt von der Balearen-Regierung, die auch das sogenannte "Gesetz der Massengräber" verabschiedet hat, um diese Art der Geschichtswiedergutmachung zu fördern. Vertreter der Regierung und des Inselrates sowie des Verein Memòria de Mallorca zur Aufarbeitung der historischen Ereignisse im Bürgerkrieg bildeten dazu eine technische Kommission. Sie ist verantwortlich für das Vorhaben und trifft die Entscheidungen. Auch die Rathäuser, in diesem Falle Porreres, sind eingebunden.

MM: Wie wollen Sie die Toten, die Sie finden, ihren Angehörigen zuordnen?

Garí: So wie im Falle von Sant Joan: durch Gentests und einem Abgleich mit den Erbgutdaten von interessierten Verwandten, die nach ihren vermissten Angehörigen suchen.

MM: Als in Sant Joan gegraben wurden, gab es das Gesetz noch gar nicht. Warum hat die Kommission sich als Erstes Porreres als Projekt vorgenommen?

Garí: Es stimmt, dass in Palma und Manacor 1936 bis 1939 deutlich mehr Menschen hingerichtet wurden als in Porreres. Aber in diesem Dorf wurden die Hinzurichtenden aus vielen Orten der Insel angekarrt, um sie zu erschießen. Hier Aufklärung zu leisten, das ist man der Inselbevölkerung schuldig. Hinzu kommt: Die Grablagen in Palma und Manacor sind seit dem Bürgerkrieg stark verändert und überbaut worden. Dort ist es ein Ding der Unmöglichkeit, die Gebeine der Toten wiederzuerlangen.

MM: Warum ist es Ihnen so wichtig, die Toten auszugraben?

Garí: Gegner des Projekts, die mich ansprechen, frage ich: Wo liegt dein Großvater zur letzten Ruhe gebettet? Auf dem Friedhof im Familiengrab, heißt es dann oft. "Siehst du", antworte ich daraufhin, "die Angehörigen der Bürgerkriegsopfer möchten nichts anderes." Es geht darum, ihnen und ihren Angehörigen eine würdige Grablage und eine würdiges Andenken zu ermöglichen. Da, wo dies zumindest technisch noch machbar ist.

MM: Spielt das denn mehr als 80 Jahre nach dem Töten im Bürgerkrieg noch eine Rolle?

Garí: Die Erinnerung an jene Menschen, die im Bürgerkrieg auf Mallorca von 1936 bis 1939 zu Opfern von Terror und Gewalt wurden, hält sich innerhalb ihrer Familien und Nachkommen bis in die Gegenwart. Es geht darum, dass die Gesellschaft das anerkennt und ein Zeichen setzt, indem die anonym verscharrten und verschollenen Menschen eine würdige Grablage erhalten. Es geht darum, die Vergangenheit aufzuarbeiten, die Zusammenhänge klar darzulegen und bewusst zu machen, damit es einmal gut sein kann. Wir müssen die Massengräber öffnen, damit wird diese unrühmliche Geschichte endlich abschließen können.

MM: Sie selbst stammen aus Porreres und erforschen seit 20 Jahren die jüngste Geschichte Ihres Dorfes. Was treibt Sie dazu?

Garí: Da gab es die Erzählungen von meinen Großeltern über jene Zeit und wie schlecht es ihnen und vielen anderen ergangen ist. Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr wollte ich wissen, warum ausgerechnet mein Dorf auserkoren wurde, um hier organisiert Menschen aus ganz Mallorca umzubringen.

MM: Und wie kam es dazu?

Garí: Es gab nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges verschiedene Phasen der Repression. Auf die Gewaltexzesse, die sich zutrugen, als die im Inselosten gelandeten Streitkräfte der Republik zurückgeschlagen werden mussten, folgte eine Phase, in der die Hinrichtungen zwar ungebremst andauerten, aber vor allem im Geheimen abliefen. Man wollte nach außen hin - sagen wir - die Form wahren. Das heißt, die franquistische Inselregierung ließ die politischen Gefangenen vermeintlich frei, schaffte sie jedoch insgeheim per Lastwagen nach Porreres, um sie dort zu töten und verschwinden zu lassen. Die Falangeführung sprach sich mit ihren Leuten im Dorf ab. Der Friedhof war von Palma gut zu erreichen und lag doch reichlich abseits des Dorfes. Die Einschusslöcher an der Rückwand der Kirche und der Holzpforte sind heute noch zu sehen.

Mit Tomeu Garí sprach Alexander Sepasgosarian.

(aus MM 44/2016)