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Erst geht es auf schmalen Steinstufen in die Höhe, eine enge Treppe zwischen Sandsteinmauern. Am Boden knirscht unter den Schuhsohlen vertrockneter Taubenkot. Auf der mittleren Turmebene ist dann eine zierliche Holzstiege installiert. Beim Hinaufklettern beginnt sie zu schwingen. Jetzt nur nicht aufgeben. Durch die Öffnung in der Decke gelangt man ins Freie, steht direkt neben dem Mast mit dem "Schaufelrad", das der Mühle zum Einfangen des Windes dient.

Unweigerlich sucht die Hand einen sicheren Halt, während eine kalte Bö durch das blockierte - und dadurch stillstehende - Rad der Mühle pfeift. Ein vorsichtiger Blick über die kniehohe Umrandung der Plattform in die Tiefe bestätigt eine alte Weisheit: Acht Meter Turmhöhe sehen von oben betrachtet doch deutlich länger aus, als wenn man sie vom sicheren Boden aus in Augenschein nimmt.

Drumherum erschließt sich ein Panoramabild über die weite Ebene des Pla de Sant Jordi im Osten von Palma. Das einstige Grünland der Stadt ist heute durchzogen von Autobahnen, Schnellstraßen, Industriebauten und ja, auch der Flughafen hat sich auf dem Gelände - im wahrsten Sinne des Wortes - breitgemacht. Dennoch: Ungeachtet des Wandels in den vergangenen Jahrzehnten, sind es nach wie vor die unzähligen Windmühltürme, die das traditionelle Landschaftsbild des Pla prägen.

"Willkommen im größten Windpark Europas, ach was, der Welt", sagt Miquel Ramis Bordoy. Der Handwerker aus Sant Jordi, der sich auf das Restaurieren von Windmühlen spezialisiert hat, weiß mit Zahlen zu überzeugen. Neben jenen alten Mühlen zum Mahlen von Getreide, wie sie seit dem Mittelalter auf der Insel existieren, sind auf Mallorca in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten nachweislich 2328 Windmühlen errichtet worden allein zu dem Zweck, um Grundwasser an die Oberfläche zu pumpen. Und etwa die Hälfte dieser wasserpumpenden Mühlen wurde allein in der Sant-Jordi-Ebene aufgetürmt. Sprich: "An keinem anderen Ort, nicht einmal in Holland, ist die Mühlendichte bezogen auf die Landfläche so hoch wie hier bei uns auf Mallorca", betont Ramis nicht ohne Stolz.

Doch der heutige Zustand der Mühlen ist mehr als beklagenswert. ( siehe auch S. 24 ). Die meisten von ihnen sind verfallen, ihrer Flügel und Räder beraubt, der Zahn der Zeit nagt an allen Ecken und Kanten, so mancher Turm liegt in Trümmern oder ist einsturzgefährdet, beim Betreten kann man Leib und Leben riskieren. Nur einige wenige der Molinos werden noch von einem vollen Rad überragt, selten dreht sich die Metallkonstruktion in frischen Farben lustig im Wind. "Wenn Kinder in der Schule Mühlen malen, dann nur kaputte, ohne die Schaufeln an den Metallrädern, weil sie sie anders gar nicht kennengelernt haben", bedauert Ramis.

Tatsächlich haben die Mühlen schon einmal bessere Zeiten erlebt. Wer in den 1970er Jahren nach Palma einflog, konnte kurz vor der Landung unzählige Mühlräder rotieren sehen, meist in den klassischen Farben Weiß, mit jeweils grünen, blauen oder roten Streifen. Manch eingefleischter Fußballfan bemalte die Schaufeln seines Mühlrades in den Farben seines Lieblingsvereins. In S'Aranjassa gibt es heute noch eine gepflegte Mühle, die in Blau-Rot dem FC Barcelona huldigt. Eine Mühle ganz in Weiß, für Real Madrid, existiert nur noch als Anekdote.

Den Werbeeffekt der Windmühlen als typisches Mallorca-Emblem wusste selbst die Tourismusindustrie zu schätzen. So sponsorte in den 1990er Jahren eine Airline die Renovierung der landwirtschaftlichen Bauwerke, wenn die Besitzer die Räder in den Farben der Fluggesellschaft Blau-Weiß strichen. So weisen noch heute viele Schaufeln den abblätternden Farbwechsel auf. Welche Airline das gewesen war, geriet indes in Vergessenheit.

Ende März jährt sich zum 170. Mal, dass auf Mallorca das Projekt der pumpenden Wassermühlen das Licht der Welt erblickte. Sein Urheber war der niederländische Ingenieur Paul Bouvy de Schorrenber (1807-1867). Er erhielt damals von der 1846 gegründeten "Compañía de desecación del Prat de Sant Jordi" den Auftrag, das Sumpfgebiet vor den Toren der Stadt trockenzulegen. Man stelle sich vor: Wo heute die alte Landstraße Palma-Manacor über Son Ferriol und Sa Casa Blanca verläuft - sie wurde auf dem letzten Rest festen Untergrunds gebaut - befand sich rechts davon Richtung Meeresbucht ein riesiges Sumpfgebiet ähnlich der S'Albufera im Norden der Insel. Der Morast war einzig für die Jagd auf Kleinwild nützlich und sorgte ansonsten für Mückenschwärme und Malariaerkrankungen.

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Mit der Trockenlegung sollten Anbauflächen für die Landwirtschaft gewonnen werden. Bouvy ließ einen Kanal errichten, der das Gebiet ins Meer entwässerte, die Mühlen wiederum dienten dazu, das dicht unter der Oberfläche ruhende Wasser abzupumpen, später dienten die Bauwerke der Bewässerung. Denn jeder Mühlturm war sinnigerweise umgeben von einem gemauerten Speicherbecken samt Anbauten für Mensch und Vieh.

Das Projekt erwies sich als voller Erfolg: Das Feuchtgebiet, dessen letzter kümmerlicher Rest an der Flughafenautobahn bei Ses Fontanelles, neben dem Palma-Aquarium zu sehen ist, verwandelte sich in Getreideäcker, Gemüsefelder und Weideflächen. In der Regel versorgte ein Mühlturm etwa vier "Cuarterades", also knapp drei Hektar mit Wasser. Dort wurden im Schnitt sieben Milchkühe samt ihren Kälbern gehalten. Die Ebene war einst eine Hochburg der Milchwirtschaft und Molkereiproduktion. Das Muhen der Kühe erstarb erst, als das Dröhnen der Flugzeuge auf dem 1960 eröffneten Zivilflughafen von Son Sant Joan immer lauter wurde.

Schuld war indes nicht der Fluglärm, sondern der allmähliche Niedergang der Landwirtschaft im Zuge des Strukturwandels durch den Tourismus. Und den Mühlen erging es ähnlich. Ihre Windmotoren wurden ersetzt, erst durch Diesel, später durch elektrisch betriebene Pumpen, die einfach im Grundwasser versenkt wurden.

"Wenn du einer Mühle ihren Zweck nimmst, dann tötest du sie", sagt der Handwerksexperte Miquel Ramis. Denn um rund laufen zu können, muss das antike Bauwerk in Betrieb gehalten werden. Das kostet. Noch teurer ist die Instandsetzung einer "toten" Mühle. Um sie wieder zum Laufen zu bringen, samt Rad und Innenleben, fallen im Schnitt 15.000 bis 20.000 Euro an, mitunter deutlich mehr.

"Für uns hat unsere Mühle nur noch landschaftlichen Wert", sagt Juan Sastre vom Gartencenter Can Juanito in Son Ferriol, "und dennoch hängen wir sehr an ihr." Er hat vor wenigen Jahren das Rad ausbessern lassen, am hohen Turm ist der Firmenname weithin sichtbar, auch wenn die Mühle kein Wasser mehr pumpt.

Geht es nach dem Inselrat von Mallorca, soll eine frische Brise wieder Bewegung in den ausrangierten Windpark bringen. Die Behörde plant gemeinsam mit der Stadt Palma Investitionen, um einige der Mühlen zu sanieren, sie zu Infozentren umzuwandeln und ihnen auf diese Weise eine neue Funktion einzuhauchen. Ein Rad- und Wanderweg sollen interessierte Urlauber in das grüne Hinterland der Playa de Palma locken.

Hilfreich ist zudem, dass Mühlen demontiert und an anderer Stelle neuerrichtet werden müssen, wenn sie dem Straßenbau zum Opfer fallen. So kommt es, dass die neue Autobahnausfahrt von El Molinar auf dem dortigen Kreisel einen versetzten Mühlturm aufweist. Restaurator Miquel Ramis ist derzeit dabei, das Innenleben der Mühle zu überholen. Allein der Holzkasten für das Pumpgestänge und den Mast ist elf Meter lang. "Das sind alles antike Teile. So etwas gibt es heute in dieser Länge gar nicht mehr."

(aus MM 8/2016)