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Es muss eine dieser heißen Nächte von Ibiza gewesen sein, als der Mörder vor der Mittfünfzigerin stand. 26. Juli 1976. Und Ingeborg Schaffer hatte offenbar keinerlei Chance. Der Täter schlug ihr den Schädel ein, mit einer Schreibmaschine. Nachbarn fanden die Deutsche erst Tage später. Die Polizei konnte weder einen Raubmord feststellen noch andere Hinweise auf den Gewaltverbrecher finden. Die Türen waren nicht aufgebrochen, das Opfer muss seinen Mörder selbst ins Haus gelassen haben. Oder der/die Täter hatten sich einschließen lassen, nach einer der Aufführungen, wie sie Ingeborg "Elpunto" Schaffer in ihrem zum Theater umgebauten Anwesen von Zeit zu Zeit darbot. Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt. Der Tod der deutschen Puppenspielerin in der Altstadt von Ibiza ist ein Mysterium.

Dezember 2014. Das Telefon in der MM-Redaktion klingelt ungewöhnlich früh. Ingrid Heiliger aus Solingen bittet um Hilfe. Sie sucht Kontakt zu dem mallorquinischen Puppenspieler, den sie neulich in einem Fernsehbeitrag auf Arte gesehen hatte. Ein Mann namens Masagosa oder so ...

In Ordnung, aber was ist der Anlass? Da gerät Ingrid Heiliger ins Erzählen: Von ihren Urlauben auf Ibiza, die sie vor vielen Jahren mit ihrem Mann dort verbrachte. Von der deutschen Puppenspielerin, die ihre Marionetten selbst fertigte und mit ihnen eigene Stücke inszenierte. Gutes Kindertheater, das die Kleinen entzückte und für ein volles Haus sorgte. Das Urlauberpaar bewunderte die deutsche Ibizenkerin, die bereits seit 1954 dort lebte. Man befreundete sich und sah sich jeden Sommer. Dann kam plötzlich die Nachricht vom tragischen Ende.

"Als wir im Sommer darauf wieder auf Ibiza waren, sah ich, wie das Haus von Ingeborg ausgeräumt wurde." Handwerker warfen die letzten Habseligkeiten in Abfallbehälter. Der Wind wehte Ingrid Heiliger ein Stück Papier zu. Sie hielt es fest und erkannte darauf Ingeborgs Handschrift. Eine Spielanweisung für ein Stück mit Clown "Gogo". Ingrid Heiliger bewahrte den Papierstreifen seit damals auf, 36 Jahre lang. Mittlerweile ist ihr Mann so krank, dass Reisen ans Mittelmeer nicht mehr möglich sind. Ibiza ist nur noch Erinnerung. Das Papier von Ingeborg wegwerfen, kam Heiliger nie in den Sinn. Da sah sie im Fernsehen plötzlich den mallorquinischen Puppenspieler.

Toni Masegosa, Jahrgang 1965, stammt aus Llucmajor, die Familie zählt viele Brüder, einer hat als Schlagzeuger den seltenen Nachnamen hinausgetrommelt. Toni selbst widmet sich dagegen dem leiseren Spiel mit Marionetten. Der Anruf aus der MM-Redaktion trifft ihn nicht unvorbereitet. "Ingeborg aus Ibiza? Sie ist in der spanischen Puppenspielerszene eine Größe. Nicht nur wegen der dramatischen Umstände ihres Todes. Sondern auch, weil sie ungewohnt romantische Stücke schuf, mit Kasper, Hanswurst, Clown Gogo, Hunden, Karawanen. Lustige Geschichten für Kinder ..." Dies weiß Masegosa zumindest aus der Fachliteratur zu seinem Beruf.

Mehr noch: Eine Freundin Masegosas, Andrea Cruz, hat eigens eine Tanzchoreografie kreiert. "La dulce Ingeborg" erinnert an die Puppenkünstlerin und daran, wie ihren Geschöpfen mit dem Mord für immer die Sprache genommen wurde. Es sei eine große Ehre für ihn, ein handschriftliches Dokument von Ingeborg zu erhalten, sagt Masegosa bewegt. "Das ist ein Vermächtnis und ein Schatz für meine Sammlung."

Pep Gómez, 69 Jahre alter Puppenspieler aus Barcelona, hat Ingeborg Schaffer noch persönlich kennengelernt. "Das war eine großartige, sehr sympathische Frau." Er besuchte damals eine ihrer Aufführungen, als er auf Ibiza einen Werkauftrag hatte. "Sie zeigte mir anschließend ihre Bühne, ihre Puppen." Gemeinsam trank man noch ein Glas Port auf der Terrasse des Hauses in der oberen Altstadt.

Eine weitere Zusammenkunft fand nicht mehr statt. Tage später las Gómez in den Zeitungen vom Tod der Puppenspielerin.

(aus MM 3/2015)