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Ein Besuch in der Schuhmanufaktur Salleras ist eine Zeitreise ins letzte Jahrhundert, weit ins letzte Jahrhundert. Die Werkstatt liegt versteckt in einer engen Straße im Ortskern von Porreres, dem Carrer Rector Llompart 3. Den Raum durchzieht der Geruch von Leder, das sich in einer fröhlichen Sinfonie von Rot-, Braun-, Gelb-, Grün- und Blautönen in den Regalen stapelt. An den Wänden hängen Messformen und Werkzeuge aus Eisen. Hinten stehen schwere alte Maschinen zum Stanzen, Nähen und Pressen, davor Kisten voller Leisten sowie fertige Schuhe: Schnürer, Slipper, Sandalen und Boots, alle mit flachem Absatz und dem gleichen Schnitt.

"Das sind Abarcas, traditionelle mallorquinische Schuhe", erklärt Miquel Salleras, der die Firma 1959 gegründet hat, und hebt ein Exemplar hoch: "Sehen Sie, die Sohlen sind aus Autoreifen gemacht."

Die Abarcas seien aus der Not nach dem Spanischen Bürgerkrieg geboren. Die Armen auf dem Land hätten ihre alten Karren zerlegt, sich aus den Reifen Schuhsohlen geschnitten und daran Teile der Abdeckplanen genäht. Bei Regen wurden die Füße halt nass. Heute werden Abarcas vor allem mit Leder hergestellt. "Und mancher Kunde kommt mit einem Mercedes vorgefahren", sagt der fidele 78-Jährige mit einem Schmunzeln.

Miquel Salleras hat eine angeborene Fehlbildung an der rechten Hand. "Holzfäller wie mein Vater konnte ich deshalb nicht werden", erzählt er. Aber Schuhe hatten ihm schon immer gefallen. So ging er mit 13 Jahren, gleich nach der Grundschule, bei einem Schuhmacher in die Lehre und lernte abends in einer technischen Schule Schuhdesign. Nach einigen Jahren baute er seine eigene Manufaktur auf. Sein zehn Jahre jüngerer Bruder Tomeu half ihm dabei. Anfangs arbeiteten sie in der Küche der Mutter. Jeder Schuh wurde nach Maß angefertigt.

Doch Schuhe waren nicht alles in ihrem Leben. Die Salleras sind eine Musikerfamilie. Tomeu spielt Gitarre und Saxofon, Miquel Schlagzeug. Während Tomeu jeden Abend bis spät in die Nacht in Hotels Musik machte, trommelte Miquel im Dorforchester von Porreres, "dem besten der Insel", meint er. Zusätzlich baute er einen Catering Service auf. Als Erster auf der Insel habe er ein Essen für 3000 Personen zubereitet, erzählt er stolz.

Er hält auch mehrere Kochrekorde. Dazu gehört eine Riesenpaella für 9000 Personen - wer nach Porreres kommt, kann die Mega-Paella-Pfanne sehen - sowie die Eintöpfe Sopa Mallorquina und Tumbet für jeweils 2000 Personen. "Wenn man eine Behinderung hat, strengt man sich immer besonders an, gut zu sein", meint Salleras fast entschuldigend. Das gilt selbstverständlich auch für das Schuhhandwerk, mit dem es schnell aufwärts ging: "Zu Hochzeiten haben wir über Tausend Paare pro Woche hergestellt und nach ganz Spanien geliefert."

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Fünf bis sechs Mitarbeiter hatten sie. Doch die Kosten stiegen. "Früher hat ein Lehrling kein Geld bekommen, weil er ja keine Leistung brachte. Heute sagen die jungen Leute zu mir: Ohne 800 Euro im Monat mache ich gar nichts", erklärt der Senior. Inzwischen arbeitet Tomeu Salleras allein in der Werkstatt, Miquel hat sich zurückgezogen.

Viel habe sich im Laufe der Jahre nicht geändert, sagt Tomeu. Die Sohlen seien dünner geworden. Heute wolle ja niemand mehr mit so schweren Schuhen herumlaufen. Ein Händler aus Valencia sammle alte Autoreifen zusammen, schneide sie zu und glätte sie. Der Stil sei der gleiche. "Das ist ja auch unser Glück. Das Klassische bleibt. Schauen Sie sich um: Die vielen Modeschuhfabriken, die es früher auf Mallorca gab, haben fast alle geschlossen."

Mallorquiner kaufen die Abarcas heute hauptsächlich für den traditionellen Volkstanz Ball de Bot. Die meisten Kunden der Salleras sind Ausländer. Viele Dauerkunden seien darunter, meint Tomeu. "Sie sind schon wie Verwandte, obwohl sie keine Spanier sind." Oftmals brächten sie Freunde mit. Dann müsse er sich wahnsinnig beeilen, die Schuhe für sie fertig zu machen, weil sie meist nur ein paar Tage auf der Insel blieben.

Zuerst wird das Modell besprochen, werden Farbe und Material bestimmt. Dann nimmt Tomeu die Maße vom Fuß - Länge, Weite und Risthöhe, passt den Leisten entsprechend an und schneidet das Leder zu. Die Sohle wird angepasst, der kleine Absatz aufgeklebt und das Leder aufgenäht. Je nach Modell kann das sehr aufwendig sein.

50 bis 60 Paare produziere er nur noch pro Woche, sagt Tomeu. Eigentlich sei er ja auch schon im Pensionsalter, aber solange ihm die Arbeit noch Spaß mache, wolle er weiterarbeiten. Musizieren tue er nur noch zu Hause. Die Gitarre, die in der Werkstatt steht, sei für die Kunden. "Einige sind gute Musiker. Sie spielen dann, während ich arbeite."

(aus MM 41/2015)